Zweites Weblog von Martin Söhnlein. Ohne Videos, dafür mit sehr langen Texten.

Sonntag, 28. Februar 2010

A Friend of the World

George Harrisons Concert for Bangladesh stellt quasi die Blaupause für alle nachfolgenden Benefiz-Rockkonzerte dar. Vieles wurde richtig gemacht – einiges auch falsch.

Von Martin Söhnlein

Im Sommer 1971 trat ein grimmig entschlossener George Harrison vor die Medien. Der Ex-Beatle verkündete, er wolle ein Konzert zugunsten der von Krieg und Überschwemmung gebeutelten Bevölkerung des damaligen Ostpakistans geben. John Lennon und Ringo Starr hätten ihre Teilnahme bereits bestätigt und auch mit Paul McCartney stehe er in engem Kontakt. Die Aussicht, dass sich die getrennten Beatles für ein Konzert wieder zusammentun könnten, war eine Sensation, die weltweit für Aufsehen sorgte. Auf die Frage eines Journalisten, weshalb er sich angesichts des Elends auf dieser Welt ausgerechnet für die Menschen in jener Region engagiere, antwortete Harrison knapp: „Weil mich ein Freund darum gebeten hat.“

Der Freund hiess Ravi Shankar. Er hatte den spirituellen Beatle Mitte der Sechzigerjahre in die Geheimnisse des Sitarspielens eingeführt, jetzt bat der Mann, der später der Vater von Norah Jones werden sollte, seinen ehemaligen Schüler um Hilfe für seine Landsleute. Das Konzert für Bangladesch war nach dem Monterey Pop Festival erst das zweite grosse Benefiz-Rockkonzert überhaupt und die Künstler offenbar noch etwas selbstbestimmter. Viele der von Harrison angefragten Musiker sagten spontan zu, zu einer Beatles-Reunion kam es aber bekanntermassen nicht. John Lennon wollte zwar, doch die von Harrison gestellte Bedingung, Yoko Ono müsse zuhause bleiben, war dann doch etwas zu viel für den Haussegen – zwei Tage vor dem Konzert verliess Lennon fluchtartig New York. Bei Paul McCartney wiederum schien der Trennungsschmerz noch zu frisch zu sein. „Weshalb sollten wir wieder ein Konzert zusammen geben, wo wir uns doch erst gerade getrennt hatten? Das wäre doch ein Witz gewesen“, sollte er später dem „Rolling Stone“ erzählen.

Also keine Beatles-Wiedervereinigung. Dafür aber Bob Dylan. Der Rockpoet war seit dem Isle of Wight Festival zwei Jahre zuvor nicht mehr vor Publikum aufgetreten und es sollten weitere drei Jahre bis zum nächsten Mal vergehen. Die übrigen Musiker spielten nicht ganz in der selben Liga: Ringo Starr, Eric Clapton, Billy Preston, Leon Russel, Klaus Voorman. Der Ticketvorverkauf lief dennoch glänzend. Bereits Tage vor dem Konzert am 1. August lagerten unzählige Fans vor dem Madison Square Garden in New York. Gefragt, weshalb er sich das antue, gestand einer der Wartenden: „Ich bin Masochist.“

Der Madison Square Garden - der kein Garten ist, sondern eine Arena – bietet Platz für 20 000 Zuschauer. Zuwenig, wie Harrison befand. Es sollten deshalb zwei Konzerte stattfinden und zwar am selben Tag. Mit einer Mittags- und einer Abendvorstellung wollte man den Nachfrage gerecht werden. Den Anfang machte Ravi Shankar, der ironischerweise am oben erwähnten Monterey Pop Festival zwei Jahre zuvor als einziger Künstler eine Gage verlangt hatte. Diesmal spielte er für Gotteslohn und sorgte auch gerade für einen ersten heiteren Moment. Der Klang der Sitar mutete damals noch sehr exotisch an und so kam es, dass bereits das Stimmen der Instrumente frenetisch beklatscht wurde. Shankar lächelte milde und verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, dem Publikum gefalle die Musik auch dann noch, wenn er sie anfinge zu spielen. Sein erstes Stück dauerte 17 Minuten.

Für George Harrison war es der erste Live-Auftritt seit der Trennung der Beatles. Er war nervös, gleichzeitig aber zuversichtlich wegen des Erfolgs seines Solo-Triple(!)-Albums „All Things Must Pass“. Er begann mit ein paar Liedern von „All Things...“, danach betrat Eric Clapton die Bühne. Clapton hatte mit seiner Heroinsucht zu kämpfen und war nicht zu den Proben erschienen. Dennoch meisterte er sein Solo in „While My Guitar Gently Weeps“. Viele Beatles-Fans wurden dabei zum ersten Mal gewahr, dass die wimmernden Gitarrenklänge auf dem „White Album“ von Clapton stammten. Ringo Starr gab sein „It Don't Come Easy“ zum Besten, Leon Russell und Billy Preston stiessen dazu. Das Publikum hatte seine helle Freude – es klatschte und tanzte und schien Lennon und McCartney nicht weiter zu vermissen.
Auch Dylan war guter Dinge. In Jeansjacke, brauner Chordhose und Mundharmonika-Halterung spielte er „“A Hard Rain's A-Gonna Fall“, „It Takes a Lot to Laugh, It Takes a Train to Cry“ und dann „Blowin' in the Wind“. Eine stilsichere Songauswahl, der er dann noch „Just Like a Woman“ hinterher schickte. Begleiten liess er sich von Harrison, Russell und – als Tambourin Man im gleichnamigen Song - Ringo Starr. Zweifellos ein historischer Moment.

Es folgten mit „Something“ und „Bangla Desh“ noch zwei Zugaben von Harrison. Letzteren Song hatte er speziell für das Konzert für Bangladesch geschrieben. Das Lied fasst in der ersten Zeile nochmals seine Beweggründe zusammen. "My friend came to me, with sadness in his eyes. He told me that he wanted help, before his country dies."

So erfreulich der Anlass für die Auftretenden und das Publikum gewesen sein mag, so wurde zum ersten Mal auch die mittlerweile übliche Kritik an Veranstaltungen dieser Art laut. Der Betrag von 243 418 Dollar und 51 Cents ergab sich aus den Ticketsverkäufen – auch damals eine bescheidene Summe angesichts des Aufsehens, das das Konzert gemacht hatte. Der Erlös des später veröffentlichten und von Phil Spector produzierten Albums sollte ebenfalls den Bengalen zugute kommen, wurde aber wegen fiskaler Probleme über 15 Jahre hinweg zurückgehalten. 1972 veröffentlichte das “New York Magazine“ einen Artikel, der dem damaligen Apple-Chef Allen Klein die Unterschlagung eines Teils dieser Gelder vorwirft. Klein stritt alles ab und forderte von der Zeitschrift eine Genugtuung in der Höhe von 150 Million Dollar. Bis 1985 erhielt die Unicef für die humanitäre Hilfe in Bangladesch von Seiten der Konzertveranstalter insgesamt 20 Millionen Dollar.

Die schärfste Kritik stammte ausgerechnet von Lennon. Das Konzert sei eine einzige Abzockerei gewesen, erklärte er in einem „Playboy“-Interview neun Jahre später. „Ich darf nicht mal darüber reden, weil noch nicht alle Probleme gelöst sind“, enervierte er sich. „Über solche Dinge müsst ihr mit Mutter (Yoko Ono d.V) reden. Sie kennt sich damit aus. Aber es ist immer Abzockerei, immer.“

Nun hatte John Lennon zu vielem eine pointierte Meinung. George Harrsion hingegen ist zugute zu halten, dass er lieber etwas getan hat, als nur darüber zu reden. Zumal der Erlös der CDs und DVDs auch heute noch in den George Harrison Fund for Unicef fliesst. Das Concert for Bangladesh stellt gewissermassen die Blaupause für alle nachfolgenden Benefiz-Konzerte dar. Wenn heute irgendwo Leid zu lindern ist – die Rockmusiker dieser Welt stehen bereit.

George Harrison & Friends: „The Concert for Bangladesh“ (CD/DVD, Sony).

Dienstag, 14. Juli 2009

Taking Woodstock




Vor 40 Jahren fand in der Nähe von Woodstock ein epochales Festival statt. Aber eigentlich war es eine Katastrophe.


„Zyt vom Flower-Power isch verbi, Woodstock isch Scheisse gsi.“ Sperma, 1979


Als sich im Sommer 1969 eine Million Blumenkinder Richtung Bethel, New York, aufmachten, markierte dies den Höhepunkt der Hippie-Bewegung – kündigte aber zugleich ihr Ende an. Die ehemalige Protestbewegung hatte sich zu einem Lifestyle für junge Leute entwickelt, bei dem Mode, Musik und Drogen in den Vordergrund, politische Anliegen hingegen immer mehr in den Hintergrund rückten. Und während man bei Woodstock II von 1994 zurecht die dem Anlass zugrunde liegende Abzockermentalität kritisierte, geht leicht vergessen, dass bereits Woodstock I mit der Absicht ins Leben gerufen wurde, viel Geld zu verdienen.

Die Idee für ein Festival for Peace and Music hatte Michael Lang, ein junger Musikproduzent, der in Woodstock ein Aufnahmestudio eröffnet hatte, und mit dem Gewinn die Kosten dafür decken wollte. Zusammen mit seinem Nachbarn Artie Kornfield gelang es ihm, zwei ebenfalls sehr junge Investoren aus New York für das Projekt zu gewinnen – die Firma „Woodstock Ventures“ entstand. Der Ort der geplanten Veranstaltung musste nach Protesten aus der Bevölkerung mehrmals verlegt werden, schliesslich fand man in White Lake in der Nähe der 4000-Seelen-Gemeinde Bethel ein geeignetes Gelände. An dem Namen Woodstock hielten die Veranstalter dennoch fest. Einerseits weil er besser klang, vielleicht aber auch, weil man den eingetragenen Firmennamen nicht ändern wollte.

Das Ziel der frischgebackenen Geschäftsmänner war ambitiös. Mit Gagen, die deutlich über dem marktüblichen Schnitt lagen, versuchte man an die ganz grossen Namen heranzukommen. Mit mässigem Erfolg. Sowohl die Beatles wie auch Bob Dylan, The Doors, Johnny Cash, The Rolling Stones, Led Zeppelin und natürlich Elvis Presley lehnten dankend ab. Die Veranstalter musste sich mit der zweiten Garde zufrieden geben – vermutlich der Hauptgrund, weshalb sie den Besucherandrang derart katastrophal unterschätzten.

Mit einem für damalige Verhältnisse hohen Budget von 200 000 Dollar allein für die Bands kam doch noch ein leidlich attraktives Programm zustande; man darf allerdings nicht vergessen, dass viele Künstler wie etwa Richie Havens, Sha-na-na oder Santana durch ihren Auftritt in Woodstock erst bekannt wurden. Zu den echten Headliner zählten The Who, die schliesslich für eine Gage von 11200 Dollar zusagten, während den oben erwähnten Sha-na-na gerade mal 300 Dollar in Aussicht gestellt wurde. Die Jungs von Woodstock Ventures schienen einigermassen ernüchtert und warben fleissig in Zeitungen für das Festival. Auf dem Boden der Realität zurückgekehrt, rechneten sie mit etwa 60000 Besuchern.

Das Desaster begann sich bereits am Morgen des 16. August abzuzeichnen. Jugendliche aus dem ganzen Land blockierten mit ihren Fahrzeugen die Highways sowie sämtliche Zufahrten zum Gelände. 400 000 kamen schliesslich an, geschätzten 600 000 blieb der Zugang verwehrt; sie mussten sich wieder auf den Heimweg machen. Die Helfer waren völlig überfordert. Man hatte es verpasst, rechtzeitig die Zelte für den Ticketverkauf zu errichten, so dass es zu massiven Staus kam. Schon bald rissen frustrierte Festivalbesucher die Abschrankungen herunter, was schliesslich zu dem berühmt gewordenen Satz von Michael Lang führte: „From now on it’s a free festival!“

Lang sah dabei verdächtig glücklich aus. Melanie Safka sollte später zu Protokoll geben, dass sie den Eindruck hatte „die Einzige zu sein, die nicht unter Drogen stand.“ Vergleicht man die Bilder von Woodstock mit denjenigen von Altamont, muss allerdings die Qualität der Drogen – vorwiegend LSD und Meskalin - eine ganz hervorragende gewesen sein. Der bald einsetzende Regen, der Umstand, dass sich vor den insgesamt 600 Toiletten hundert Meter lange Schlangen bildeten, die ungenügende Verpflegung (bereits am ersten Tag wurden 500 000 Hamburger und Hot-Dogs verzehrt), sowie eine zu leise Musikanlage dürften der allgemeinen Stimmung jedenfalls nicht besonders zuträglich gewesen sein. Dass der Anlass derart gewaltfrei verlief (es gab allerdings zwei Drogen- und ein Unfallopfer), ist das eigentliche Sensationelle an Woodstock.

Doch auch die Musiker, die grösstenteils mit Hubschraubern aufs Gelände gebracht werden mussten (ausgerechnet bei Iron Butterfly hat das nicht geklappt), hatten es nicht leicht. Wegen des Regens kam es auf der Bühne immer wieder zu Stromstössen. Mehrere Auftritte mussten frühzeitig abgebrochen oder verschoben werden. Die Organisation hinter der Bühne war im Grunde keine. Es wurden Künstler auf die Bühne gezerrt, die gar nicht wussten, dass sie auftreten sollten, wie etwa John Sebastian. Nur wenige waren mit ihrem Auftritt zufrieden. Creedence Clearwater Revival und Janis Joplin wollten ihre Konzerte weder auf Schallplatte noch auf Film verewigt wissen, während Blood, Sweat & Tears nach ihrer Ansicht zu wenig Gage dafür erhalten hatten. Eine falsche Entscheidung, wie sich im Nachhinein herausstelle.

Denn mehr noch als das Festival selbst, das sich für die nach Woodstock hochverschuldeten Organisatoren als absolutes Waterloo herausstellte, ist es die kollektive Erinnerung daran, die Woodstock zum eigentlichen epochalen Ereignis werden liess. Der von Martin Scorsese editierte Film wurde zum Kassenschlager, das Triple-Album verkaufte sich ebenfalls gut. Rechtzeitig zum Jubiläum kommt Ang Lees „Taking Woodstock“ in die Kinos – der Film spielt vor der Kulisse des berühmtesten Rock- und Folkfestivals aller Zeiten.

Dass allerdings kollektives Erinnern seine Tücken hat, beweist der Umstand, dass es bis heute keine verlässliche Information darüber gibt, in welcher Reihenfolge die Bands und Künstler eigentlich aufgetreten sind. Es existieren unterschiedliche Stagepläne und Setlists. Und daran erinnern mag sich auch niemand mehr so richtig. „If you remember the sixties, you probably weren’t there“, soll dazu der damalige Sicherheitsbeauftragter Wavy Gravy gesagt haben. Der Drogenkonsum muss an jenem Wochenende wirklich enorm gewesen sein.

Dienstag, 24. März 2009

That Low Stuff




Paul McCartney ist einer der wichtigsten Rockbassisten. Dafür wird er selten gelobt. Meist heisst es, er sei eigentlich ein Gitarrist gewesen, dem man nur zufällig den Bass in die Hand gedrückt hat.


McCartneys Karriere als Leadgitarrist war eine sehr kurze. „Bei den Quarrymen stieg ich ursprüglich als Gitarrist ein“, erinnert er sich in einem Interview, das er 1995 dem Finger- und Daumenblatt „Bass Player“ gewährte. „Als wir dann später mit den Beatles nach Hamburg gingen, hatte ich mir zuvor diese billige Gitarre gekauft, eine Rosetti Solid Seven, die dem dampfenden Star-Club und unserem wilden Rumgehopse nicht gewachsen war.“ Der junge McCartney stieg - ganz Universalgenie, das er war - kurzerhand aufs Klavier um, was ihm schon kurze Zeit später zum Verhängnis werden sollte. Es war im Juni 1961, als Stuart Sutcliffe der Band eröffnete, er werde nicht nach England zurückkehren, sondern mit seiner Verlobten Astrid Kirchherr in Hamburg Kunst betreiben. Für die Beatles bedeutete dies zwar nicht das Ende der Welt- Sutcliffe war ein solider, aber keineswegs innovativer Bassist -, doch mussten jetzt die verbleibenden Musiker untereinander ausmachen, wer die vakante Rolle besetzen soll. „Also ich machs nicht“, soll George Harrison als erster gerufen haben. „Und ich sowieso nicht“, echote Bandleader Lennon hinterher.

Es schien also nicht gerade so, als hätten sich die Beatles um den Posten gestritten. Die drei jungen Liverpooler wollten alle vorne stehen, gut aussehen, „to pull the birds“, wie es McCartney formulierte. Bei anderen Bands sei immer der „fat guy“ der Bassist gewesen, viele gaben sich zudem damit zufrieden, die simplen Akkordfolgen mit noch simpleren Grundtönen zu begleiten. McCartney selbst hielt sich für den Job zwar überqualifiziert, hatte aber die schlechteren Karten in der Hand, „nämlich nicht mal eine eigene Gitarre.“

Und so schnappte sich der bekennende Linkshänder Stus Bass und spielte ihn verkehrt herum. „Ich übte früher oft auf Rechtshändergitarren, John nahm sich übrigens auch oft meine Linkshändergitarren und spielte darauf mit der Zeit ziemlich gut.“ In Tat und Wahrheit hatte aber McCartney wenig Ahnung vom Bassspielen. „Hear that low stuff? That’s the bass“, soll ihn sein Vater einst in die Welt des Tieffrequenten eingeführt haben.

Paul McCartney war allerdings schon damals ein begnadeter Pragmatiker und machte sich bei der Konkurrenz schlau. Besonders die frühen Motown- und Beach-Boys-Platten hatten es ihm angetan. „James Jamerson war wohl der wichtigste Einfluss, abgesehen von Brian Wilson natürlich.“ Von Wilson lernte er, was der Bass alles mit Akkorden anstellen kann. „Da spielt zum Beispiel die Band einen C-Dur-Akkord und der Bass bleibt auf dem G; das ist schiere Macht, keine gewalttätige zwar, sondern eher eine subtile Kontrolle, die er auf die Band und damit auf die Musik ausübt.“

Da McCartney weiterhin an vorderster Front die Vögel ziehen wollte, entschied er sich bei der Wahl seines neuen Instrumentes für die kleinste und leichteste Variante, den berüchtigten Höfner 500/1 Violin Bass. Der Bass ist, der Name sagt es eigentlich schon, nur wenig grösser und schwerer als eine Geige und verfügt über wenig Fundament sowie ein sehr kurzes Sustain. Bereits auf „With the Beatles“ ist zu hören, wie McCartney seinen ureigenen Stil gefunden und zunehmend verfeinert hat. Da er weitaus mehr Ahnung von Harmonielehre hatte als John Lennon, war es für ihn ein leichtes, die einigermassen traditionellen Akkordfolgen zu umspielen und harmonisch zu ergänzen. In gewisser Weise findet unten statt, was oben mit den Chorstimmen und Harrisons Gitarre geschieht – alles scheint sich zu umschmeicheln und kunstvoll ineinanderzugreifen. Dass es McCartney dabei gelingt, gleichzeitig mit Ringo Starr zusammen das Fundament für diese frühe Art von Rockmusik zu legen, spricht für sein musikalisches Genie – das müssen selbst die ärgsten McCartney-Kritiker anerkennen.

Geht es um die Beatles, gibt es immer ein paar Experten, die es noch besser wissen als die Fab Four selbst. McCartney behauptet beispielsweise, er habe auf dem Höfner-Bass „all that sort of high thrilling stuff I used to do“ entwickelt. Bassologen melden da ihre berechtigten Zweifel an, da der Violin Bass alles andere als bundrein und oberhalb des vierten Bundes kaum spielbar war. McCartney glaubt sich zudem zu erinnern, auf „Rubber Soul“ ausschliesslich den Höfner gespielt zu haben, während „Drive My Car“ und „Think for Yourself“ doch bereits verdächtig nach dem Rickenbacker 4001S klingen, den er ab 1965 benutzte.

Dem Rickenbacker blieb McCartney bis zum Ende der Beatles treu. Sehr schön zu hören ist sein „high thrilling stuff“ auf Stücken wie „Rain“ oder „Paperback Writer“. Man liest zwar oft, dass McCartney eigentlich ein Gitarrist und kein Bassist sei, doch hört man sich die Beatle-Alben auf das Bassspiel hin an, merkt man rasch, dass dies falscher nicht sein könnte. Mit Ausnahme von „I Want You (She’s So Heavy)“ soliert der Multiinstrumentalist nie, stets spielt er Bassläufe im eigentlichen Sinne – wenn auch recht komplexe. Es mag im Jazz oder R’n’B virtuosere Bassisten gegeben haben - Paul McCartney aber hat den Bass als eigenständiges Intrument in der Rockmusik emanzipiert. Dafür müsste er eigentlich nochmals zum Sir geadelt werden.

Copyright by Loop 2009

Dienstag, 28. Oktober 2008

Vater des Ambient



Mit „Ambient 1: Music for Airports“ erschien vor dreissig Jahren ein Album, das einen neuen Musikstil begründete. Brian Eno rückte damit quasi die Hintergrundmusik in den Vordergrund.


Es muss irgendwann im Jahr 1977 gewesen sein, als Brian Eno im Flughafen Bonn-Köln auf seinen Anschlussflug wartete. Es fiel ihm dabei gleich mehrerlei auf. Erstens die kunstvolle Architektur, zweitens das angenehme Wetter und drittens die grässliche Musik, die drinnen auf die Wartenden niederrieselte. „Ich habe das nicht verstanden“, erinnert sich der Künstler später. „Da geben sie für diesen wirklich schönen Flughafen so viel Geld aus, doch über die Musik, die ja auch zur Gestaltung eines Raumes beiträgt, machen sie sich keine Gedanken.“ Und falls doch, dann die falschen. „Diese Musik ist doch viel zu fröhlich, so als wolle sie den Fluggästen versichern: Nein, du hast nichts zu befürchten, das Flugzeug wird nicht abstürzen und du wirst nicht sterben. Dabei müsste sie doch eher bedeuten: Ja, vielleicht stirbst du und es spielt keine grosse Rolle.“

An jenem Nachmittag entschied sich Brian Eno, die Welt ein bisschen besser zu machen, indem er über eine mögliche Musik für Flughäfen nachzudenken begann. Wie musste eine solche Musik beschaffen sein? Sie sollte möglichst entweder nur sehr tiefe oder dann sehr hohe Tönen beinhalten, um den für menschliche Stimmen wichtigen mittleren Frequenzbereich nicht zu überlagern. Die Stücke sollten zudem sehr lang sein („Die Leute sind beschäftigt und wollen nicht von einem ständig wechselndem Programm abgelenkt werden.“) und für Ansagen jederzeit problemlos unterbrochen werden können. Bereits in den Sechzigern hatte sich der ehemalige Keyboarder von Roxy Music für Steve Reichs Minimalismus begeistert, ein weiterer wichtiger Einfluss war Eric Satie, der vor 120 Jahren mit seiner „Furniture Music“ Neuland betrat und dessen „Gymnopédies“ heute noch gerne zur Untermalung von Werbespots für Lebensversicherungen benutzt werden. Eno selbst hatte bereits 1973 auf „(No Pussyfooting)“ mit Ambient-Klängen experimentiert, mit „Ambient 1: Music for Airports“ begründete er 1978 einen eigentlichen Musikstil.

„Als Komponist neigt man dazu, mehr in seine Musik hinzupacken, als man es als Zuhörer eigentlich gerne hätte. Als Musiker denke ich: Oh Gott, hier geschieht ja einen Takt lang rein gar nichts, als Zuhörer hingegen bin ich froh über jede Pause zwischen den einzelnen Tönen.“ Eno nutzte diese Erkenntnis während den Aufnahmen für „Music for Airports“. Im ersten und längsten der vier Stücke lässt er zwei einsame Klaviermelodien, die eine akustisch, die andere elektrisch, miteinander korrospondieren. Die stark verlangsamten Tonbandschlaufen nähern sich im Laufe des Stückes an, überlagern sich kurz, um sich dann wieder voneinander zu entfernen. Dies alles geschieht in grandioser Langsamkeit und vermittelt eine unglaubliche Ruhe und Selbstgenügsamkeit. Als Pausenglocken-Intervalle für Problemschulen würde die Melodie jedenfalls Wunder bewirken.

Im zweiten Stück geht es eigentlich im gleichen Stil weiter, ein Engelschor, der auffällig nach Fairlight klingt (es aber nicht sein kann, da der Sampler erst ein Jahr später auf den Markt kam) ersetzt das Klavier. Das Klangbild wird allgemein heller und strahlender; es ist klar, dass Eno hier nicht nur das Warten in der Flugenhafen-Lounge, sondern auch das Fliegen selbst musikalisch thematisiert. Auch hier erzeugt die Langsamkeit, mit der sich die Melodie entwickelt, ein seltsames Gefühl von Zeit- und Schwerelosigkeit. Gut möglich, dass Eno mit seinen langen Pausen zwischen den einzelnen Tönen das musikalische Gedächtnis austrickst, es ist jedenfalls weder eine Richtung noch ein Ende zu erahnen und fast unmöglich, dabei nicht abzuschweifen. Ab einem gewissen Punkt nimmt der Hörer die Musik nicht mehr bewusst wahr, erschrickt hingegen fast, wenn sie zu Ende ist. Im dritten Stück wieder Chorgesang und das Klavier gesellt sich dazu, im vierten spielt ein Synthesizer die Hauptrolle. Der Arp 2600, den Eno im Studio von Krautrock-Legende Conny Plank in Köln aufgenommen hat, während die anderen Stücke in London entstanden sind.

In den Liner Notes zu „Music for Airports“ geht Eno kurz auf die Geschichte des Muzaks ein (der Begriff geht auf die Firma Muzak Inc. zurück, die in den Fünfzigerjahren seichte Instrumentalmusik für die Beschallung von Kaufhäusern produzierte). Er spricht sich zwar dezidiert für „Inviromental Music“ aus, räumt aber ein, dass dieser in der Vergangenheit ein schlechter Ruf anhaftete. Ambient, so wie er ihn versteht, müsse „auf verschiedenen Aufmerksamkeitsstufen funktionieren, ohne dabei eine spezifische besonders zu fordern. Eine solche Musik müsse „as ignorable as interesting“ sein.

Die Schwierigkeiten, die manche Menschen mit Ambient haben, basieren in der Tat zumeist auf dem Missverständnis, man müsse dieser Musik ständig zuhören. Das sollte man in diesem Falle eben nicht. Wogleich dem Scheitern hierbei eine besondere Süsse innewohnt. Als Satie eines seiner Werke uraufführte, verlangte er vom Publikum, es solle während des Konzertes im Raum herumschlendern und versuchen, der Musik nicht bewusst zuzuhören. Doch die Besucher blieben schon nach kurzer Zeit stehen und lauschten gebannt den beruhigenden Klängen.

Genau das kann einem bei „Music for Airports“ auch passieren.

Brian Eno „Ambient 1: Music for Airports“ (EMI).

Montag, 1. September 2008

Chasing Amy




Ein sympathischer Stalker will der dem Untergang geweihten Sängerin Amy Winehouse seine Aufwartung machen. Wenn das mal keine gute Idee für ein Drehbuch ist.


Am 9. Juli bricht der nicht mehr ganz so junge Mann - ausgestattet mit etwas Geld, einer Videokamera und einer guten Portion Flugangst - tatsächlich auf. Keiner hätte ihm das zugetraut, es wollte aber auch keiner mit. Und so hält ihm, der noch nie geflogen ist, niemand die Hand, als er im von Wolken bedeckten London landet (die Reise mit dem Zug hätte ihn 1200 Franken gekostet und das Budget deutlich überschritten).

Amy Winehouse wohnt in Camden Town, soviel ist klar. Doch bereits die Suche nach einer geeigneten Bleibe in der Nähe der Angebeteten erweist sich als mühselig. Die eine Unterkunft verlangt nach einer Kreditkarte, die andere für die Aussicht, einen Raum mit 14 weiteren Touristen teilen zu dürfen, happige 20 Pfund. Nach mehreren Anläufen wird der Reisende doch noch fündig und er begibt sich auf die Suche nach der von ihm so favorisierten Sängerin. Elf Tage will er sich dafür Zeit nehmen - entsprechend der Anzahl Songs, die sich auf dem Album „Back to Black“ befinden.

Tags darauf in den Strassen von Camden: Sein Blick fällt auf ein mit „Winehouse“ beschriftetes Gebäude. Es handelte sich offenbar um eine Weinhandlung, doch erscheint es ihm wie ein erster Fingerzeig. Später entdeckt er eine Galerie, die nicht nur Porträt von Amy, sondern auch freundliche Menschen beherbergt, mit denen er ins Gespräch kommt. Er klimpert auf dem Klavier, trinkt auf der Dachterrasse Bier. Er filmt die Fassaden der Strasse, in der sich das „Winehouse“ befindet. Nach zwanzig Metern dann plötzlich eine Tafel: „Tonight DJ Battle Amy Winehouse vs DJ Bioux“. Das Lokal heisst „Monarch“. Er geht hinein und fragt, ob es sich um einen Irrtum handle. Nein, Amy lege hier tatsächlich heute auf.

Er lernt Tom kennen. Tom ist gross, Anfang zwanzig, kleidet sich wie Pete Dorethy und kennt in Camden jeden. Natürlich kennt Tom auch Amy Winehouse, mit ihr hat er schon zusammengewohnt und auch den Abend im „Monarch“ organisiert. Unser Schweizer macht sich mit dem Verteilen von Parisiennes beliebt, „the best cigarettes in whole world“, wie die anwesenden Londoner anerkennend feststellen. Geraucht wird im Garten.

Schliesslich erhält er von Tom die Zusage, er könne sich ein Ticket, das sonst nur im Internet reserviert werden könne, für 12 Pfund an der Abendkasse abholen. Der Jungfilmer erforscht mit seiner Kamera das Innere des Pubs. Das DJ-Pult ist bereits aufgestellt, dahinter hängt eine riesige Union-Jack-Flagge. Er lässt sich in einer Ecke nieder, behält den Raum im Auge. Gegen neun Uhr füllt sich der Klub, etwas später dann plötzlich Lärm und Blitzgewitter von draussen. Ein Wagen fährt vor, und tatsächlich: Amy Winehouse betritt den Raum, gefolgt von einer Horde von Paparazzi. „Hi, Amy! Over here, Amy!“ Auch andere Besucher zücken jetzt ihre Handys und Kameras.

Amy begrüsst Tom, lässt sich einen Drink geben und begibt sich zum DJ-Pult. Sofort scharen sich die Fotografen um die Sängerin. Die gibt sich erst pflichtbewusst und wirft sich in Posen, erinnert sich dann aber wohl daran, dass vorteilhafte Bilder von ihr ohnehin nicht erscheinen werden - und beginnt gelangweilt Fratzen zu schneiden.

Nach einer Viertelstunde dann endlich Musik: „Love Cats“ von den Cures, Dexy Midnight Runners’ „Geno“, „A Message to You, Rudy” von den Specials. Dazu jede Menge Motown. Dass Amy Winehouse dabei nicht wirklich Platten auflegt, sondern ihren angekündigten Antagonisten lediglich mit musikalischem Material versorgt – die meiste Zeit kauert sie vor den Plattenkoffern -, ist den englischen Tabloids noch zwei Tage später eine Meldung wert. „The Sun“ hingegen delirierte von einem weissen Pulver, das sie angeblich unter Amys Nase gesichtet haben will. Unser Held weiss davon nichts zu berichten, räumt aber ein, dass die für ihren Drogenkonsum berüchtigte Künstlerin während ihres DJ-Sets „zwei- oder dreimal“ in einem Hinterraum verschwunden sei.

Aber für derlei hat der Hingerissene ohnehin keine Augen mehr: „Sie sah super sexy aus“, erzählt er. Pink das über dem Bauchnabel zugeknöpfte Hemd, sehr kurz die Shorts, sehr hoch die Frisur. Doch sein Problem ist ein anderes: So nahe würde er an seine Angehimmelte nicht mehr herankommen, er musste jetzt irgendetwas tun: Er drängt sich vor, nimmt mit Amy Augenkontakt auf. Im Haar trägt sie ein Herz, auf dem „Blake“ steht - stimmt, sie ist ja verheiratet. Womöglich hat er schon zu viel getrunken und überhaupt: Was macht er hier eigentlich? Seine Lippen formen die Worte „I love you“. Sie hats gesehen, bestimmt, dreht aber den Kopf zur Seite und plötzlich erscheint ihm das alles sinnlos. „I Will Never Be You Girl“ lautet der Titel des Songs, den er beim Verlassen des „Monarch“ noch hört.

Am nächsten Tag: Nüchterne Betrachtung des aufgenommenen Videomaterials. Irgendwann hatten Amys Bodyguards eine VIP-Kordel um das DJ-Pult gespannt und unserem Filmer die Drehgenehmigung entzogen. Doch der war nicht unschlau und stellte die laufende Kamera auf eine Auflage hinter einer Trennscheibe. „Und was mach ich Depp? Ich stell’ nach fünf Minuten eine Bierflasche vor die Scheibe!“ Zusätzlicher Frust also und die Stimmung wird beim Lesen der einschlägigen Zeitungen nicht besser. Von einem „bizarren Auftritt“ ist da die Rede, Amy Winehouse sei in der Nacht noch barfuss und mit zwei gestohlenen Lampen um die Häuser gezogen. „Sie hat halt die Schuhe ausgezogen, und die Lampen mitgenommen. Ich finde das nicht besonders schlimm“, meint der Fan, der im Übrigen nicht der Ansicht ist, dass Amy Winehouse schutzlos den Verlockungen ihres frühen Ruhms ausgesetzt ist. „Sie hat genügend Freunde, die sich um sie kümmern. Leute, die sie seit ihrer Jugend kennt.“

Leute wie Tom, bei dem es sich vermutlich um den Sohn eines bekannten BBC-Moderators handelt. Oder wie Collin, der einräumt, auch schon mal mit der Sängerin Kokain konsumiert zu haben. Reiche und weniger reiche, talentierte und weniger talentierte, schöne und weniger schöne junge Engländer, die nicht viel arbeiten und trotzdem immer genügend Geld haben, um sich das Leben der Londoner Bohème leisten zu können. Die Boulevard-Presse hingegen saugt die Szene ebenso aus, wie sie sie füttert. Kaum ein Tag, in der „The Sun“ nicht irgendeinen „engen Freund von Amy“ zitiert. Und ist gerade keiner zur Hand, bleibt da immer noch ihr Vater, der verzweifelt versucht, das voyeuristische Interesse, das die Medien dem Schicksal seiner Tochter entgegenbringen, in Richtung Verständnis, Rücksicht und Mitgefühl zu lenken. Mit lauem Erfolg, ist man gezwungen hinzufügen.

„Du bist also einer dieser Paparazzi“, schnauzte unser Schweizer einen der Fotografen vor dem „Monarch“ an. „Keineswegs“, entgegnete dieser. Er mache nur die Fotos, die Auswahl würden andere treffen. Heute hätte er von Amy etwa 200 Bilder geschossen. Nichts Aussergewöhnliches, die Sängerin wird täglich von einem ganzen Pulk von Fotografen verfolgt. „Einmal ist sie zu mir morgens um drei früh ins Geschäft gekommen und wollte Schokolade kaufen“, erzählt der Besitzer der Food Station an der Strassenecke. Sie hätte kein Geld dabei gehabt und einem der Fotografen zugerufen: „Bezahl das mal für mich!“ Bei Britney Spears ging diese Art von Intimität zwischen Kuh und Fliege so weit, dass sie sich sogar auf eine Beziehung mit einem ihrer anhänglichen Begleiter einliess.

Weshalb aber setzt sich jemand wie Amy Winehouse der ständigen Belästigung der Fotografen überhaupt aus? Schliesslich hat sie Millionen von CDs verkauft und könnte auf den Bahamas liegen, würde sie denn ein Einreisevisum erhalten. „Sie ist halt in Camden Town sozialisiert worden, ihr gefällt es hier“, weiss der Kenner. „Zudem hab ich das Gefühl, dass sie die Aufmerksamkeit braucht. Sie scheint mir ambivalent: Halb geniesst sie das Katz-und-Maus-Spiel mit den Paparazzi, halb ekelt es sie an.“

Camden ist in der Tat nicht uncool. Hier, wo sich einst die Hippie- und später die Punk- und Gothicszene formierte und sich Bon Scott die ultimative Kante gab, lässt es sich gut leben. Das unspektakuläre Häuschen von Winehouse zeugt darüber hinaus von einer eher existenzialistischen Lebenseinstellung der bald 25-Jährigen. Die Wahl ihres Lebenspartners hingegen von einem Hang zum Selbstzerstörerischen: Der Volksschulabbrecher Blake Fielder-Civil, den sie im Frühling 2007 heiratete, sitzt derzeit wegen Körperverletzung im Geföngnis und es deutet vieles darauf hin, dass sein Einfluss auf Amy nicht der allerbeste ist: Vor einem Jahr wurde die Sängerin mit einer Überdosis eines nicht zu empfehlenden Cocktails aus Heroin, Ecstasy, Kokain, Ketamin und Alkohol in eine Klinik eingeliefert. Ein Clip auf Youtube, der die beiden zusammen zeigt, wie sie im Bahnhof Paddington auf Gott weiss was warten, illustriert die fatale Beziehung. Hier der hühnenhafte Blake, dort die klapprige Amy, die sogleich in Panik ausbricht, als sich ihr Ehemann einige Meter von ihr entfernt - eine Amour fou, von der man noch viel hören und lesen wird.

Ganz ohne Geschenk will sich unser Protagonist dann doch nicht von Amy verabschieden. Beim planlosen Umherirren in Camdens Strasse stösst er auf eine Gruppe von Journalisten, die vor einem Hauseingang herumlungert. Kurz zuvor hatte es ihm in einer Kirche der heilige Michael angetan, ein Drachentöter vor dem Herrn. Ein Heiligenbild, eine Rose, eine Schachtel der besten Zigaretten der Welt und eine knappe Liebesbotschaft schnürt er zu einem Päckchen zusammen. „Some kind of Vodoo, I hope you don’t worry about it“, schreibt er dazu. Er will das Packet einem der Bodyguards geben, mit der Bitte, er solle es doch Amy zustecken. Dieser sagt, er könne es ihr gleich selber überreichen, die Sängerin werde gleich herauskommen. Nach einer Stunde fährt ein Wagen vor, doch von Amy ist nichts zu sehen. Die Limousine fährt wieder weg, die Paparazzi fluchen vor sich hin. Nur der Fan macht sich Vorwürfe. „Wahrscheinlich hat sich mich gesehen und sich deshalb nicht herausgetraut“, spekuliert er ebenso selbstkritisch wie grössenwahnsinnig.

Vielleicht zu viel der Ehre und vielleicht hat das Päckchen ja seine Adressatin doch noch erreicht. Unser Held jedenfalls beteuert, sich nach dieser zumindest zum Teil erfolgreicher Mission als besserer Mensch zu fühlen. „Das Leben“, so bemerkte Peter Handke einst klug, „schreibt bekanntlich die besten Geschichten - nur das es nicht schreiben kann.“

Filmen kann es aber eben auch nicht.

Mittwoch, 28. Mai 2008

Wiener Blut




Raus aus der Mittelmässigkeit und wieder zurück: Der vor zehn Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommene Hans Hölzel alias Falco war Österreichs einziger Popstar von Weltformat.


Keine Ahnung, weshalb ich mir im Sommer 1982 die Single „Maschine brennt“ gekauft
habe. Eigentlich war ich ja hinter dem „Kommissar“ her, den aber das Radio-/TV-Geschäft meines Vertrauens nicht im Angebot hatte. Auf der B-Seite war dann dieses Lied. Es handelte von Wien, von Kokain und Heroin, vor allem aber davon, dass dieser gut angezogene Mittzwanziger mit dem eklig nach hinten gegelten Haar offenbar einiges mehr vom Leben wusste als der 13-jährige, der ich damals war. Kurz zuvor hatte ich in dem Musikermagazin „Fachblatt“ ein Interview mit Falco gelesen, in dem er das Ende von Bass und Schlagzeug ankündigte. Er schwärmte von dem damals neuen Linn-Drumcomputer und den Möglichkeiten, die sich durch das brandneue Midi-Protokoll ergeben würden. Ich war beeindruckt, wunderte mich allerdings als Schlagzeuger, weshalb er sich als Bassist so sehr an der Aussicht delektierte, dass wir beide in Zukunft nichts mehr zu tun haben sollten. So erging es mir lange Zeit mit Falco. Ich dachte immer: Schön, dass er so erfolgreich ist, aber muss der eingebildete Dandy diejenigen, die auf der Strecke bleiben, unbedingt verspotten? Muss er bei jedem Interview Kinski-like zuallererst die Frage kritisieren („wieso ausdrücken? Ich bin doch keine Zitrone“)? Und muss er bei jeder Gelegenheit daran erinnern, dass er den Rap nach Europa und die Deutsche Sprache in die US-Charts gebracht hat? Welches Leid hat man dem Mann angetan? Wofür rächt er sich?

Als einziger Überlebende von Drillingen kommt Hans Hölzel am 19. Februar 1957 in Wien zur Welt. Sein musikalisches Talent wird früh entdeckt und gefördert, mit vier bekommt er ein Klavier, mit fünf attestiert ihm die Wiener Musikakademie ein absolutes Gehör. Hansi besucht eine katholische Privatschule, wechselt ans Gymnasium, bricht 1973 die Schule ab, um sich an der Musikakademie einzuschreiben. Nach einem Semester verlässt er auch diese, um, wie er sagt, „ein richtiger Musiker“ zu werden. 1977 zieht er für einige Monate nach West-Berlin, in der Hoffnung, dort David Bowie anzutreffen. Der DDR-Sportler Falko Weisspflog inspiriert ihn schliesslich zu seinem Künstlername. Falco tritt als Bassist dem Anarcho-Ensemble Drahdiwaberl bei und schreibt das oben erwähnte „Ganz Wien“. Es passt allerdings nicht ins Konzept der Band und wird deshalb von Falco in der Pause alleine vorgetragen. 1981 wird er von dem Wiener Plattenboss Markus Spiegel entdeckt, der mit ihm einen Vertrag über drei Solo-Alben abschliesst. Zusammen mit Robert Ponger produziert er den „Kommissar“, der erst in Österreich, dann in Europa und dann international zum Hit wird.

„Der Kommissar“ verkaufte sich weltweit sieben Millionen Mal und gilt heute als erster kommerziell erfolgreicher Rap-Song eines weissen Künstlers. Die Frage, ob nun Falco darauf tatsächlich rappt oder ob das Riff nicht doch ein ziemlich offenkundiges Rip-Off von Rick James’ „Super Freak“ ist, prallte an dem Künstler angesichts seines umwerfenden Erfolges ab. Falco wirkt in dieser Phase bereits erstaunlich abgeklärt, um nicht zu sagen besserwisserisch. Er ereifert sich in Interviews über das provinzielle Musikgehabe im deutschsprachigen Raum. Dass er damit nicht ganz unrecht hatte, musste die Kollegen umso mehr schmerzen. Gleichzeitig surfte Falco allerdings ebenfalls auf der Neuen Deutschen Welle und als diese 1983 verebbte, blieb unkar, wie es mit seiner Karriere weitergehen sollte. 1984 erscheint das ebenfalls von Robert Ponger produzierte Album „Junge Römer“, das heute als Meisterwerk gilt, damals aber floppte. Falco trennte sich von Ponger und engagierte das holländische Produzentenduo Rob und Ferdi Bolland. Mit „Falco 3“ erlebt er ein glanzvolles Comeback. „Rock Me Amadeus“ erreicht am 16. März 1985 als erster und bisher einziger deutschsprachige Song Platz eins der amerikanischen Singlecharts.

Persönlich fing ich an, das Interesse an Falco zu verlieren. Was er zu sagen hatte, schien mir mit „Amadeus“ gesagt: Falco als koksender Mozart, ein Genie, ein Punk mit rosa Perücke, exaltiert, r-r-r-rock me, die Frauen liebten ihn, because er hatte Flair undsoweiter. Falco sei Hip-Hop, weil er das Recht des Underdogs auf Konsum und Glamour verkörpere, argumentierte sinngemäss der letztes Jahr verstorbene Wiener Musikproduzent Werner Geier - da ist was Wahres dran, aber genau deshalb langweilt mich ja auch Hip-Hop. „Jeanny“ jedenfalls war nicht Hip-Hop und schien mir selbst als Sechzehnjähriger zu durchschaubar, lustig fand ich allenfalls die Reaktionen darauf (die Medien schrien „Skandal!“ und Thomas Gottschalk nannte Falco ein „Wiener Würstchen“). Danach war irgendwie Schluss. 1986 erschien „Emotional“, dessen Titelsong mich zwar irgendwie berührte, den ich aber seither nie mehr bewusst gehört habe. Das Album widmete er seiner Tochter, die sich dann unglücklicherweise als die eines anderen herausstellte. Von „Wiener Blut“ (1988), „Data de Groove“ (1990) und „Nachtflug“ (1992) hab ich ehrlich gesagt noch nie was gehört. Von den Singles „Mutter, der Mann mit dem Koks ist da“ (1995) und „Naked“ (1996) leider schon. Aber diese Kirmes-Techno-Hits stammten nicht mehr vom selben Falco. Der alte Falco hatte seine Welteroberungspläne Ende der Achtzigerjahre begraben, vielleicht tatsächlich aus der vielzitierten Angst der Österreicher vor zuviel Erfolg. Der neue aber war das, was Falco an anderen immer kritisiert hatte: reinster Durchschnitt.

Was ich dann aber erst viel später realisierte: Hans Hölzel war nicht arrogant. Vielmehr hat sich Falco jene doppelbödige Vulgarität als Schutzmantel umgelegt, die man als Wiener Schmäh bezeichnet und ausserhalb unseres Verständnishorizontes liegt. Dazu nur so viel: Der Wiener Schmäh erlaubt es seinem Träger, sich unsympathisch zu geben und dabei trotzdem grundsympathisch zu bleiben. Oder wie Falco selbst einst sagte:“ Ich bemüh' mich mi zu benehmen wie a Mensch und versuche niemanden auf die Füsse zu steigen. Und wann mir ana auf die Füss steigt, dann rauch i ma a Zigarett'n an und blas er'm um.“ Er war halt eben doch ein Grosser. Friede seiner Asche.

Dienstag, 26. Februar 2008

Die Keule



So nah kommt keiner an die ganz grossen Stars ran: Seit über 40 Jahren ist das Neumann U87 der Studiostandard in Sachen Mikrofone.


Wer von Popmusik spricht, meint dabei oft deren Inhalt oder bestenfalls die ästhetische Absicht, die sich dahinter verbirgt, und übersieht dabei gerne, wie stark diese von den Produktionsmitteln und -bedingungen abhängig ist. Ohne die digitale Revolution hätte Hip-Hop die Achtzigerjahre nicht überlebt und Elektrofolk existiert nur, weil die aktuellen DAWs (Digital Audio Workstation) ihre User zur Zusammenführung von Audio- und Midisignalen einladen. Tatsächlich wird über Aufnahmetechniken ausserhalb von Fachmagazinen und SAE-Kursen nur ungern debattiert, haftet doch der Herstellung von Musik nach wie vor etwas Industrielles an (die weissen Laborkittel der Tontechniker in den Abbey-Road-Studios mögen dazu beigetragen haben).

Vom ersten Synthesizer über das Mehrspurverfahren bis hin zu den digitalen Arbeitsstationen mit ihren kaum auszulotenden Möglichkeiten: Die technischen Neuerungen der letzten 40 Jahre sind imposant, täuschen aber nicht darüber hinweg, dass sie die Popmusik zwar immer mal wieder reformiert, immer seltener aber revolutioniert haben. Und noch etwas ist bemerkenswert: Im Signalweg zwischen Sender und Empfänger, zwischen Künstler und Konsument haben sich in all diesen Jahren zwei Komponenten kaum verändert. Hier das Mikrofon, dort der Lautsprecher. Dass diese auch noch miteinander verwandt sein sollen - jeder Lautsprecher lässt sich im Prinzip auch als Mikrofon (und umgekehrt) verwenden -, ist systemimmanent, also Musik: Schwingung trifft auf Membrane, Membrane erzeugt Schwingung.

Während es bei den Lautsprechern lange Zeit darum ging, sie möglichst laut zu machen, herrschte bei den Mikrofonen über Jahrzehnte hinweg kaum Handlungsbedarf. Nicht dass sie von Anfang an perfekt gewesen wären, nur waren sie selten das schwächste Glied in der Übertragungskette. Erfunden wurde das erste Mikrofon im Zusammenhang mit dem Telefon, vermutlich 1860 von Antoni Meucci, der allerdings das Geld für eine Patentanmeldung nicht aufbringen konnte und deshalb in Vergessenheit geriet. Alexander Graham Bell bediente sich Meuccis Idee – Schall wird in ein elektromagnetisches Signal gewandelt -, David Edward Hughes verbesserte das Prinzip zum Kohlenmikrofon und der Deutsche Georg Neumann präsentierte Mitte der Zwanzigerjahre schliesslich das erste Kondensatormikrofon.

Grundsätzlich war die Entwicklung damit abgeschlossen. Mit dem Neumann CMV3 lassen sich noch heute exzellente Aufnahmen erzielen. Zwar klingen die Hitler-Reden (das CMV3 war auch als „Hitlerflasche“ bekannt) nicht unbedingt nach Hi-Fi, was aber der Empfindlichkeit des Mikrofons, beziehungsweise den schlechten Aufzeichnungsgeräten und gealterten Tonträgern zuzuschreiben ist. Nach dem Krieg erschien dann mit dem Neumann U47 das erste Mikrofon mit elektrisch umschaltbarer Richtcharakteristik. Es zählt heute noch zu den besten Mikrofonen aller Zeiten und ist in den wenigen Topstudios, die diesen Namen noch verdienen, anzutreffen.

Was für Hitler gilt, gilt auch für den jungen Elvis. Der Rock’n’Roll der Fünfzigerjahre genügt auf Tonträger selten audiophilen Ansprüchen. Das wiederum liegt daran, dass die Toningenieure damals ganze Bands mit nur einem Mikrofon aufnehmen mussten. Schlagzeug ganz hinten, Sänger ganz vorne, Gitarre und Bass irgendwo dazwischen. Der hohe Raumanteil machte den Sound relativ harsch, George Martin wies anlässlich des CD-Release der ersten fünf Beatles-Alben zudem darauf hin, dass die Abhörbedingungen (sprich Lautsprecher) damals ganz anders waren, dementsprechend also auch anders entzerrt wurde.

Mit dem Aufkommen der Mehrspurtechnik wurde die Sache nicht besser, im Gegenteil: Um eine möglichst grosse Kontrolle über die einzelnen Spuren zu behalten, wurde viel geklebt, gedämpft und mit Teppichen ausgelegt. Der Raumklang wurde gemeuchelt, die Mikrofone möglichst nahe an die Instrumente gerückt und Tonspuren fröhlich hin- und herkopiert. Das führte im besten Fall zu einem Verlust der hohen Frequenzen, im schlechtesten Fall zu Soundbrei (Phil Spectors berüchtigter „Wall of Sound“).

Während sich das U47 als Röhrenmikrofon hervorragend dazu eignete, einem allzu klirrenden Sound etwas die Spitzen zu glätten, verlangten die späten Sechziger nach neuen Klangeigenschaften. 1967 bot Neumann mit dem U87 eine genau solche an. Mit einer leichten Höhenanhebung ab sieben Kilohertz und seinem druckvollen und runden Klang etablierte es sich schnell zum universellen Studiomikrofon. Ob für Gitarre, Klavier, Orchester, Chor oder als Raummikrofon – vor allem aber für die Stimme ist das U87 so etwas wie der Caruso unter den Mikrofonen. An seinem Klang müssen sich alle anderen Mikrofone messen lassen. Die Legende besagt, dass wer sich auf intime Nähe zur markanten Keule einlässt, besser singt. Das stimmt so wahrscheinlich nicht. Tatsache aber ist, dass sich andere Hersteller (die meisten scheinen auf irgendeine Weise von Georg Neumann abzustammen) beim Versuch, die Qualitäten des grossen Vorbilds zu erreichen, bisher die Zähne ausgebissen haben. Natürlich bleibt es jedem Tontechniker frei, im Zweifelsfalle zu einem anderen Mikrofon zu greifen (Michael Jackson singt auf „Thriller“ in ein Shure SM7), in der Regel aber doch eher, nachdem er es mit dem U87 versucht hat. Letztes Jahr feierte Neumann übrigens den 40. Geburtstag seines Erfolgsprodukts und veranstaltete dazu einen Wettbewerb. Zu gewinnen gab es ein, ich korrigiere mich: ein einziges Neumann U87.