A Friend of the World
George Harrisons Concert for Bangladesh stellt quasi die Blaupause für alle nachfolgenden Benefiz-Rockkonzerte dar. Vieles wurde richtig gemacht – einiges auch falsch.
Von Martin Söhnlein
Im Sommer 1971 trat ein grimmig entschlossener George Harrison vor die Medien. Der Ex-Beatle verkündete, er wolle ein Konzert zugunsten der von Krieg und Überschwemmung gebeutelten Bevölkerung des damaligen Ostpakistans geben. John Lennon und Ringo Starr hätten ihre Teilnahme bereits bestätigt und auch mit Paul McCartney stehe er in engem Kontakt. Die Aussicht, dass sich die getrennten Beatles für ein Konzert wieder zusammentun könnten, war eine Sensation, die weltweit für Aufsehen sorgte. Auf die Frage eines Journalisten, weshalb er sich angesichts des Elends auf dieser Welt ausgerechnet für die Menschen in jener Region engagiere, antwortete Harrison knapp: „Weil mich ein Freund darum gebeten hat.“
Der Freund hiess Ravi Shankar. Er hatte den spirituellen Beatle Mitte der Sechzigerjahre in die Geheimnisse des Sitarspielens eingeführt, jetzt bat der Mann, der später der Vater von Norah Jones werden sollte, seinen ehemaligen Schüler um Hilfe für seine Landsleute. Das Konzert für Bangladesch war nach dem Monterey Pop Festival erst das zweite grosse Benefiz-Rockkonzert überhaupt und die Künstler offenbar noch etwas selbstbestimmter. Viele der von Harrison angefragten Musiker sagten spontan zu, zu einer Beatles-Reunion kam es aber bekanntermassen nicht. John Lennon wollte zwar, doch die von Harrison gestellte Bedingung, Yoko Ono müsse zuhause bleiben, war dann doch etwas zu viel für den Haussegen – zwei Tage vor dem Konzert verliess Lennon fluchtartig New York. Bei Paul McCartney wiederum schien der Trennungsschmerz noch zu frisch zu sein. „Weshalb sollten wir wieder ein Konzert zusammen geben, wo wir uns doch erst gerade getrennt hatten? Das wäre doch ein Witz gewesen“, sollte er später dem „Rolling Stone“ erzählen.
Also keine Beatles-Wiedervereinigung. Dafür aber Bob Dylan. Der Rockpoet war seit dem Isle of Wight Festival zwei Jahre zuvor nicht mehr vor Publikum aufgetreten und es sollten weitere drei Jahre bis zum nächsten Mal vergehen. Die übrigen Musiker spielten nicht ganz in der selben Liga: Ringo Starr, Eric Clapton, Billy Preston, Leon Russel, Klaus Voorman. Der Ticketvorverkauf lief dennoch glänzend. Bereits Tage vor dem Konzert am 1. August lagerten unzählige Fans vor dem Madison Square Garden in New York. Gefragt, weshalb er sich das antue, gestand einer der Wartenden: „Ich bin Masochist.“
Der Madison Square Garden - der kein Garten ist, sondern eine Arena – bietet Platz für 20 000 Zuschauer. Zuwenig, wie Harrison befand. Es sollten deshalb zwei Konzerte stattfinden und zwar am selben Tag. Mit einer Mittags- und einer Abendvorstellung wollte man den Nachfrage gerecht werden. Den Anfang machte Ravi Shankar, der ironischerweise am oben erwähnten Monterey Pop Festival zwei Jahre zuvor als einziger Künstler eine Gage verlangt hatte. Diesmal spielte er für Gotteslohn und sorgte auch gerade für einen ersten heiteren Moment. Der Klang der Sitar mutete damals noch sehr exotisch an und so kam es, dass bereits das Stimmen der Instrumente frenetisch beklatscht wurde. Shankar lächelte milde und verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, dem Publikum gefalle die Musik auch dann noch, wenn er sie anfinge zu spielen. Sein erstes Stück dauerte 17 Minuten.
Für George Harrison war es der erste Live-Auftritt seit der Trennung der Beatles. Er war nervös, gleichzeitig aber zuversichtlich wegen des Erfolgs seines Solo-Triple(!)-Albums „All Things Must Pass“. Er begann mit ein paar Liedern von „All Things...“, danach betrat Eric Clapton die Bühne. Clapton hatte mit seiner Heroinsucht zu kämpfen und war nicht zu den Proben erschienen. Dennoch meisterte er sein Solo in „While My Guitar Gently Weeps“. Viele Beatles-Fans wurden dabei zum ersten Mal gewahr, dass die wimmernden Gitarrenklänge auf dem „White Album“ von Clapton stammten. Ringo Starr gab sein „It Don't Come Easy“ zum Besten, Leon Russell und Billy Preston stiessen dazu. Das Publikum hatte seine helle Freude – es klatschte und tanzte und schien Lennon und McCartney nicht weiter zu vermissen.
Auch Dylan war guter Dinge. In Jeansjacke, brauner Chordhose und Mundharmonika-Halterung spielte er „“A Hard Rain's A-Gonna Fall“, „It Takes a Lot to Laugh, It Takes a Train to Cry“ und dann „Blowin' in the Wind“. Eine stilsichere Songauswahl, der er dann noch „Just Like a Woman“ hinterher schickte. Begleiten liess er sich von Harrison, Russell und – als Tambourin Man im gleichnamigen Song - Ringo Starr. Zweifellos ein historischer Moment.
Es folgten mit „Something“ und „Bangla Desh“ noch zwei Zugaben von Harrison. Letzteren Song hatte er speziell für das Konzert für Bangladesch geschrieben. Das Lied fasst in der ersten Zeile nochmals seine Beweggründe zusammen. "My friend came to me, with sadness in his eyes. He told me that he wanted help, before his country dies."
So erfreulich der Anlass für die Auftretenden und das Publikum gewesen sein mag, so wurde zum ersten Mal auch die mittlerweile übliche Kritik an Veranstaltungen dieser Art laut. Der Betrag von 243 418 Dollar und 51 Cents ergab sich aus den Ticketsverkäufen – auch damals eine bescheidene Summe angesichts des Aufsehens, das das Konzert gemacht hatte. Der Erlös des später veröffentlichten und von Phil Spector produzierten Albums sollte ebenfalls den Bengalen zugute kommen, wurde aber wegen fiskaler Probleme über 15 Jahre hinweg zurückgehalten. 1972 veröffentlichte das “New York Magazine“ einen Artikel, der dem damaligen Apple-Chef Allen Klein die Unterschlagung eines Teils dieser Gelder vorwirft. Klein stritt alles ab und forderte von der Zeitschrift eine Genugtuung in der Höhe von 150 Million Dollar. Bis 1985 erhielt die Unicef für die humanitäre Hilfe in Bangladesch von Seiten der Konzertveranstalter insgesamt 20 Millionen Dollar.
Die schärfste Kritik stammte ausgerechnet von Lennon. Das Konzert sei eine einzige Abzockerei gewesen, erklärte er in einem „Playboy“-Interview neun Jahre später. „Ich darf nicht mal darüber reden, weil noch nicht alle Probleme gelöst sind“, enervierte er sich. „Über solche Dinge müsst ihr mit Mutter (Yoko Ono d.V) reden. Sie kennt sich damit aus. Aber es ist immer Abzockerei, immer.“
Nun hatte John Lennon zu vielem eine pointierte Meinung. George Harrsion hingegen ist zugute zu halten, dass er lieber etwas getan hat, als nur darüber zu reden. Zumal der Erlös der CDs und DVDs auch heute noch in den George Harrison Fund for Unicef fliesst. Das Concert for Bangladesh stellt gewissermassen die Blaupause für alle nachfolgenden Benefiz-Konzerte dar. Wenn heute irgendwo Leid zu lindern ist – die Rockmusiker dieser Welt stehen bereit.
George Harrison & Friends: „The Concert for Bangladesh“ (CD/DVD, Sony).