Dienstag, 26. Februar 2008

Die Keule



So nah kommt keiner an die ganz grossen Stars ran: Seit über 40 Jahren ist das Neumann U87 der Studiostandard in Sachen Mikrofone.


Wer von Popmusik spricht, meint dabei oft deren Inhalt oder bestenfalls die ästhetische Absicht, die sich dahinter verbirgt, und übersieht dabei gerne, wie stark diese von den Produktionsmitteln und -bedingungen abhängig ist. Ohne die digitale Revolution hätte Hip-Hop die Achtzigerjahre nicht überlebt und Elektrofolk existiert nur, weil die aktuellen DAWs (Digital Audio Workstation) ihre User zur Zusammenführung von Audio- und Midisignalen einladen. Tatsächlich wird über Aufnahmetechniken ausserhalb von Fachmagazinen und SAE-Kursen nur ungern debattiert, haftet doch der Herstellung von Musik nach wie vor etwas Industrielles an (die weissen Laborkittel der Tontechniker in den Abbey-Road-Studios mögen dazu beigetragen haben).

Vom ersten Synthesizer über das Mehrspurverfahren bis hin zu den digitalen Arbeitsstationen mit ihren kaum auszulotenden Möglichkeiten: Die technischen Neuerungen der letzten 40 Jahre sind imposant, täuschen aber nicht darüber hinweg, dass sie die Popmusik zwar immer mal wieder reformiert, immer seltener aber revolutioniert haben. Und noch etwas ist bemerkenswert: Im Signalweg zwischen Sender und Empfänger, zwischen Künstler und Konsument haben sich in all diesen Jahren zwei Komponenten kaum verändert. Hier das Mikrofon, dort der Lautsprecher. Dass diese auch noch miteinander verwandt sein sollen - jeder Lautsprecher lässt sich im Prinzip auch als Mikrofon (und umgekehrt) verwenden -, ist systemimmanent, also Musik: Schwingung trifft auf Membrane, Membrane erzeugt Schwingung.

Während es bei den Lautsprechern lange Zeit darum ging, sie möglichst laut zu machen, herrschte bei den Mikrofonen über Jahrzehnte hinweg kaum Handlungsbedarf. Nicht dass sie von Anfang an perfekt gewesen wären, nur waren sie selten das schwächste Glied in der Übertragungskette. Erfunden wurde das erste Mikrofon im Zusammenhang mit dem Telefon, vermutlich 1860 von Antoni Meucci, der allerdings das Geld für eine Patentanmeldung nicht aufbringen konnte und deshalb in Vergessenheit geriet. Alexander Graham Bell bediente sich Meuccis Idee – Schall wird in ein elektromagnetisches Signal gewandelt -, David Edward Hughes verbesserte das Prinzip zum Kohlenmikrofon und der Deutsche Georg Neumann präsentierte Mitte der Zwanzigerjahre schliesslich das erste Kondensatormikrofon.

Grundsätzlich war die Entwicklung damit abgeschlossen. Mit dem Neumann CMV3 lassen sich noch heute exzellente Aufnahmen erzielen. Zwar klingen die Hitler-Reden (das CMV3 war auch als „Hitlerflasche“ bekannt) nicht unbedingt nach Hi-Fi, was aber der Empfindlichkeit des Mikrofons, beziehungsweise den schlechten Aufzeichnungsgeräten und gealterten Tonträgern zuzuschreiben ist. Nach dem Krieg erschien dann mit dem Neumann U47 das erste Mikrofon mit elektrisch umschaltbarer Richtcharakteristik. Es zählt heute noch zu den besten Mikrofonen aller Zeiten und ist in den wenigen Topstudios, die diesen Namen noch verdienen, anzutreffen.

Was für Hitler gilt, gilt auch für den jungen Elvis. Der Rock’n’Roll der Fünfzigerjahre genügt auf Tonträger selten audiophilen Ansprüchen. Das wiederum liegt daran, dass die Toningenieure damals ganze Bands mit nur einem Mikrofon aufnehmen mussten. Schlagzeug ganz hinten, Sänger ganz vorne, Gitarre und Bass irgendwo dazwischen. Der hohe Raumanteil machte den Sound relativ harsch, George Martin wies anlässlich des CD-Release der ersten fünf Beatles-Alben zudem darauf hin, dass die Abhörbedingungen (sprich Lautsprecher) damals ganz anders waren, dementsprechend also auch anders entzerrt wurde.

Mit dem Aufkommen der Mehrspurtechnik wurde die Sache nicht besser, im Gegenteil: Um eine möglichst grosse Kontrolle über die einzelnen Spuren zu behalten, wurde viel geklebt, gedämpft und mit Teppichen ausgelegt. Der Raumklang wurde gemeuchelt, die Mikrofone möglichst nahe an die Instrumente gerückt und Tonspuren fröhlich hin- und herkopiert. Das führte im besten Fall zu einem Verlust der hohen Frequenzen, im schlechtesten Fall zu Soundbrei (Phil Spectors berüchtigter „Wall of Sound“).

Während sich das U47 als Röhrenmikrofon hervorragend dazu eignete, einem allzu klirrenden Sound etwas die Spitzen zu glätten, verlangten die späten Sechziger nach neuen Klangeigenschaften. 1967 bot Neumann mit dem U87 eine genau solche an. Mit einer leichten Höhenanhebung ab sieben Kilohertz und seinem druckvollen und runden Klang etablierte es sich schnell zum universellen Studiomikrofon. Ob für Gitarre, Klavier, Orchester, Chor oder als Raummikrofon – vor allem aber für die Stimme ist das U87 so etwas wie der Caruso unter den Mikrofonen. An seinem Klang müssen sich alle anderen Mikrofone messen lassen. Die Legende besagt, dass wer sich auf intime Nähe zur markanten Keule einlässt, besser singt. Das stimmt so wahrscheinlich nicht. Tatsache aber ist, dass sich andere Hersteller (die meisten scheinen auf irgendeine Weise von Georg Neumann abzustammen) beim Versuch, die Qualitäten des grossen Vorbilds zu erreichen, bisher die Zähne ausgebissen haben. Natürlich bleibt es jedem Tontechniker frei, im Zweifelsfalle zu einem anderen Mikrofon zu greifen (Michael Jackson singt auf „Thriller“ in ein Shure SM7), in der Regel aber doch eher, nachdem er es mit dem U87 versucht hat. Letztes Jahr feierte Neumann übrigens den 40. Geburtstag seines Erfolgsprodukts und veranstaltete dazu einen Wettbewerb. Zu gewinnen gab es ein, ich korrigiere mich: ein einziges Neumann U87.