Dienstag, 14. Juli 2009

Taking Woodstock




Vor 40 Jahren fand in der Nähe von Woodstock ein epochales Festival statt. Aber eigentlich war es eine Katastrophe.


„Zyt vom Flower-Power isch verbi, Woodstock isch Scheisse gsi.“ Sperma, 1979


Als sich im Sommer 1969 eine Million Blumenkinder Richtung Bethel, New York, aufmachten, markierte dies den Höhepunkt der Hippie-Bewegung – kündigte aber zugleich ihr Ende an. Die ehemalige Protestbewegung hatte sich zu einem Lifestyle für junge Leute entwickelt, bei dem Mode, Musik und Drogen in den Vordergrund, politische Anliegen hingegen immer mehr in den Hintergrund rückten. Und während man bei Woodstock II von 1994 zurecht die dem Anlass zugrunde liegende Abzockermentalität kritisierte, geht leicht vergessen, dass bereits Woodstock I mit der Absicht ins Leben gerufen wurde, viel Geld zu verdienen.

Die Idee für ein Festival for Peace and Music hatte Michael Lang, ein junger Musikproduzent, der in Woodstock ein Aufnahmestudio eröffnet hatte, und mit dem Gewinn die Kosten dafür decken wollte. Zusammen mit seinem Nachbarn Artie Kornfield gelang es ihm, zwei ebenfalls sehr junge Investoren aus New York für das Projekt zu gewinnen – die Firma „Woodstock Ventures“ entstand. Der Ort der geplanten Veranstaltung musste nach Protesten aus der Bevölkerung mehrmals verlegt werden, schliesslich fand man in White Lake in der Nähe der 4000-Seelen-Gemeinde Bethel ein geeignetes Gelände. An dem Namen Woodstock hielten die Veranstalter dennoch fest. Einerseits weil er besser klang, vielleicht aber auch, weil man den eingetragenen Firmennamen nicht ändern wollte.

Das Ziel der frischgebackenen Geschäftsmänner war ambitiös. Mit Gagen, die deutlich über dem marktüblichen Schnitt lagen, versuchte man an die ganz grossen Namen heranzukommen. Mit mässigem Erfolg. Sowohl die Beatles wie auch Bob Dylan, The Doors, Johnny Cash, The Rolling Stones, Led Zeppelin und natürlich Elvis Presley lehnten dankend ab. Die Veranstalter musste sich mit der zweiten Garde zufrieden geben – vermutlich der Hauptgrund, weshalb sie den Besucherandrang derart katastrophal unterschätzten.

Mit einem für damalige Verhältnisse hohen Budget von 200 000 Dollar allein für die Bands kam doch noch ein leidlich attraktives Programm zustande; man darf allerdings nicht vergessen, dass viele Künstler wie etwa Richie Havens, Sha-na-na oder Santana durch ihren Auftritt in Woodstock erst bekannt wurden. Zu den echten Headliner zählten The Who, die schliesslich für eine Gage von 11200 Dollar zusagten, während den oben erwähnten Sha-na-na gerade mal 300 Dollar in Aussicht gestellt wurde. Die Jungs von Woodstock Ventures schienen einigermassen ernüchtert und warben fleissig in Zeitungen für das Festival. Auf dem Boden der Realität zurückgekehrt, rechneten sie mit etwa 60000 Besuchern.

Das Desaster begann sich bereits am Morgen des 16. August abzuzeichnen. Jugendliche aus dem ganzen Land blockierten mit ihren Fahrzeugen die Highways sowie sämtliche Zufahrten zum Gelände. 400 000 kamen schliesslich an, geschätzten 600 000 blieb der Zugang verwehrt; sie mussten sich wieder auf den Heimweg machen. Die Helfer waren völlig überfordert. Man hatte es verpasst, rechtzeitig die Zelte für den Ticketverkauf zu errichten, so dass es zu massiven Staus kam. Schon bald rissen frustrierte Festivalbesucher die Abschrankungen herunter, was schliesslich zu dem berühmt gewordenen Satz von Michael Lang führte: „From now on it’s a free festival!“

Lang sah dabei verdächtig glücklich aus. Melanie Safka sollte später zu Protokoll geben, dass sie den Eindruck hatte „die Einzige zu sein, die nicht unter Drogen stand.“ Vergleicht man die Bilder von Woodstock mit denjenigen von Altamont, muss allerdings die Qualität der Drogen – vorwiegend LSD und Meskalin - eine ganz hervorragende gewesen sein. Der bald einsetzende Regen, der Umstand, dass sich vor den insgesamt 600 Toiletten hundert Meter lange Schlangen bildeten, die ungenügende Verpflegung (bereits am ersten Tag wurden 500 000 Hamburger und Hot-Dogs verzehrt), sowie eine zu leise Musikanlage dürften der allgemeinen Stimmung jedenfalls nicht besonders zuträglich gewesen sein. Dass der Anlass derart gewaltfrei verlief (es gab allerdings zwei Drogen- und ein Unfallopfer), ist das eigentliche Sensationelle an Woodstock.

Doch auch die Musiker, die grösstenteils mit Hubschraubern aufs Gelände gebracht werden mussten (ausgerechnet bei Iron Butterfly hat das nicht geklappt), hatten es nicht leicht. Wegen des Regens kam es auf der Bühne immer wieder zu Stromstössen. Mehrere Auftritte mussten frühzeitig abgebrochen oder verschoben werden. Die Organisation hinter der Bühne war im Grunde keine. Es wurden Künstler auf die Bühne gezerrt, die gar nicht wussten, dass sie auftreten sollten, wie etwa John Sebastian. Nur wenige waren mit ihrem Auftritt zufrieden. Creedence Clearwater Revival und Janis Joplin wollten ihre Konzerte weder auf Schallplatte noch auf Film verewigt wissen, während Blood, Sweat & Tears nach ihrer Ansicht zu wenig Gage dafür erhalten hatten. Eine falsche Entscheidung, wie sich im Nachhinein herausstelle.

Denn mehr noch als das Festival selbst, das sich für die nach Woodstock hochverschuldeten Organisatoren als absolutes Waterloo herausstellte, ist es die kollektive Erinnerung daran, die Woodstock zum eigentlichen epochalen Ereignis werden liess. Der von Martin Scorsese editierte Film wurde zum Kassenschlager, das Triple-Album verkaufte sich ebenfalls gut. Rechtzeitig zum Jubiläum kommt Ang Lees „Taking Woodstock“ in die Kinos – der Film spielt vor der Kulisse des berühmtesten Rock- und Folkfestivals aller Zeiten.

Dass allerdings kollektives Erinnern seine Tücken hat, beweist der Umstand, dass es bis heute keine verlässliche Information darüber gibt, in welcher Reihenfolge die Bands und Künstler eigentlich aufgetreten sind. Es existieren unterschiedliche Stagepläne und Setlists. Und daran erinnern mag sich auch niemand mehr so richtig. „If you remember the sixties, you probably weren’t there“, soll dazu der damalige Sicherheitsbeauftragter Wavy Gravy gesagt haben. Der Drogenkonsum muss an jenem Wochenende wirklich enorm gewesen sein.

Dienstag, 24. März 2009

That Low Stuff




Paul McCartney ist einer der wichtigsten Rockbassisten. Dafür wird er selten gelobt. Meist heisst es, er sei eigentlich ein Gitarrist gewesen, dem man nur zufällig den Bass in die Hand gedrückt hat.


McCartneys Karriere als Leadgitarrist war eine sehr kurze. „Bei den Quarrymen stieg ich ursprüglich als Gitarrist ein“, erinnert er sich in einem Interview, das er 1995 dem Finger- und Daumenblatt „Bass Player“ gewährte. „Als wir dann später mit den Beatles nach Hamburg gingen, hatte ich mir zuvor diese billige Gitarre gekauft, eine Rosetti Solid Seven, die dem dampfenden Star-Club und unserem wilden Rumgehopse nicht gewachsen war.“ Der junge McCartney stieg - ganz Universalgenie, das er war - kurzerhand aufs Klavier um, was ihm schon kurze Zeit später zum Verhängnis werden sollte. Es war im Juni 1961, als Stuart Sutcliffe der Band eröffnete, er werde nicht nach England zurückkehren, sondern mit seiner Verlobten Astrid Kirchherr in Hamburg Kunst betreiben. Für die Beatles bedeutete dies zwar nicht das Ende der Welt- Sutcliffe war ein solider, aber keineswegs innovativer Bassist -, doch mussten jetzt die verbleibenden Musiker untereinander ausmachen, wer die vakante Rolle besetzen soll. „Also ich machs nicht“, soll George Harrison als erster gerufen haben. „Und ich sowieso nicht“, echote Bandleader Lennon hinterher.

Es schien also nicht gerade so, als hätten sich die Beatles um den Posten gestritten. Die drei jungen Liverpooler wollten alle vorne stehen, gut aussehen, „to pull the birds“, wie es McCartney formulierte. Bei anderen Bands sei immer der „fat guy“ der Bassist gewesen, viele gaben sich zudem damit zufrieden, die simplen Akkordfolgen mit noch simpleren Grundtönen zu begleiten. McCartney selbst hielt sich für den Job zwar überqualifiziert, hatte aber die schlechteren Karten in der Hand, „nämlich nicht mal eine eigene Gitarre.“

Und so schnappte sich der bekennende Linkshänder Stus Bass und spielte ihn verkehrt herum. „Ich übte früher oft auf Rechtshändergitarren, John nahm sich übrigens auch oft meine Linkshändergitarren und spielte darauf mit der Zeit ziemlich gut.“ In Tat und Wahrheit hatte aber McCartney wenig Ahnung vom Bassspielen. „Hear that low stuff? That’s the bass“, soll ihn sein Vater einst in die Welt des Tieffrequenten eingeführt haben.

Paul McCartney war allerdings schon damals ein begnadeter Pragmatiker und machte sich bei der Konkurrenz schlau. Besonders die frühen Motown- und Beach-Boys-Platten hatten es ihm angetan. „James Jamerson war wohl der wichtigste Einfluss, abgesehen von Brian Wilson natürlich.“ Von Wilson lernte er, was der Bass alles mit Akkorden anstellen kann. „Da spielt zum Beispiel die Band einen C-Dur-Akkord und der Bass bleibt auf dem G; das ist schiere Macht, keine gewalttätige zwar, sondern eher eine subtile Kontrolle, die er auf die Band und damit auf die Musik ausübt.“

Da McCartney weiterhin an vorderster Front die Vögel ziehen wollte, entschied er sich bei der Wahl seines neuen Instrumentes für die kleinste und leichteste Variante, den berüchtigten Höfner 500/1 Violin Bass. Der Bass ist, der Name sagt es eigentlich schon, nur wenig grösser und schwerer als eine Geige und verfügt über wenig Fundament sowie ein sehr kurzes Sustain. Bereits auf „With the Beatles“ ist zu hören, wie McCartney seinen ureigenen Stil gefunden und zunehmend verfeinert hat. Da er weitaus mehr Ahnung von Harmonielehre hatte als John Lennon, war es für ihn ein leichtes, die einigermassen traditionellen Akkordfolgen zu umspielen und harmonisch zu ergänzen. In gewisser Weise findet unten statt, was oben mit den Chorstimmen und Harrisons Gitarre geschieht – alles scheint sich zu umschmeicheln und kunstvoll ineinanderzugreifen. Dass es McCartney dabei gelingt, gleichzeitig mit Ringo Starr zusammen das Fundament für diese frühe Art von Rockmusik zu legen, spricht für sein musikalisches Genie – das müssen selbst die ärgsten McCartney-Kritiker anerkennen.

Geht es um die Beatles, gibt es immer ein paar Experten, die es noch besser wissen als die Fab Four selbst. McCartney behauptet beispielsweise, er habe auf dem Höfner-Bass „all that sort of high thrilling stuff I used to do“ entwickelt. Bassologen melden da ihre berechtigten Zweifel an, da der Violin Bass alles andere als bundrein und oberhalb des vierten Bundes kaum spielbar war. McCartney glaubt sich zudem zu erinnern, auf „Rubber Soul“ ausschliesslich den Höfner gespielt zu haben, während „Drive My Car“ und „Think for Yourself“ doch bereits verdächtig nach dem Rickenbacker 4001S klingen, den er ab 1965 benutzte.

Dem Rickenbacker blieb McCartney bis zum Ende der Beatles treu. Sehr schön zu hören ist sein „high thrilling stuff“ auf Stücken wie „Rain“ oder „Paperback Writer“. Man liest zwar oft, dass McCartney eigentlich ein Gitarrist und kein Bassist sei, doch hört man sich die Beatle-Alben auf das Bassspiel hin an, merkt man rasch, dass dies falscher nicht sein könnte. Mit Ausnahme von „I Want You (She’s So Heavy)“ soliert der Multiinstrumentalist nie, stets spielt er Bassläufe im eigentlichen Sinne – wenn auch recht komplexe. Es mag im Jazz oder R’n’B virtuosere Bassisten gegeben haben - Paul McCartney aber hat den Bass als eigenständiges Intrument in der Rockmusik emanzipiert. Dafür müsste er eigentlich nochmals zum Sir geadelt werden.

Copyright by Loop 2009