Mittwoch, 28. Mai 2008

Wiener Blut




Raus aus der Mittelmässigkeit und wieder zurück: Der vor zehn Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommene Hans Hölzel alias Falco war Österreichs einziger Popstar von Weltformat.


Keine Ahnung, weshalb ich mir im Sommer 1982 die Single „Maschine brennt“ gekauft
habe. Eigentlich war ich ja hinter dem „Kommissar“ her, den aber das Radio-/TV-Geschäft meines Vertrauens nicht im Angebot hatte. Auf der B-Seite war dann dieses Lied. Es handelte von Wien, von Kokain und Heroin, vor allem aber davon, dass dieser gut angezogene Mittzwanziger mit dem eklig nach hinten gegelten Haar offenbar einiges mehr vom Leben wusste als der 13-jährige, der ich damals war. Kurz zuvor hatte ich in dem Musikermagazin „Fachblatt“ ein Interview mit Falco gelesen, in dem er das Ende von Bass und Schlagzeug ankündigte. Er schwärmte von dem damals neuen Linn-Drumcomputer und den Möglichkeiten, die sich durch das brandneue Midi-Protokoll ergeben würden. Ich war beeindruckt, wunderte mich allerdings als Schlagzeuger, weshalb er sich als Bassist so sehr an der Aussicht delektierte, dass wir beide in Zukunft nichts mehr zu tun haben sollten. So erging es mir lange Zeit mit Falco. Ich dachte immer: Schön, dass er so erfolgreich ist, aber muss der eingebildete Dandy diejenigen, die auf der Strecke bleiben, unbedingt verspotten? Muss er bei jedem Interview Kinski-like zuallererst die Frage kritisieren („wieso ausdrücken? Ich bin doch keine Zitrone“)? Und muss er bei jeder Gelegenheit daran erinnern, dass er den Rap nach Europa und die Deutsche Sprache in die US-Charts gebracht hat? Welches Leid hat man dem Mann angetan? Wofür rächt er sich?

Als einziger Überlebende von Drillingen kommt Hans Hölzel am 19. Februar 1957 in Wien zur Welt. Sein musikalisches Talent wird früh entdeckt und gefördert, mit vier bekommt er ein Klavier, mit fünf attestiert ihm die Wiener Musikakademie ein absolutes Gehör. Hansi besucht eine katholische Privatschule, wechselt ans Gymnasium, bricht 1973 die Schule ab, um sich an der Musikakademie einzuschreiben. Nach einem Semester verlässt er auch diese, um, wie er sagt, „ein richtiger Musiker“ zu werden. 1977 zieht er für einige Monate nach West-Berlin, in der Hoffnung, dort David Bowie anzutreffen. Der DDR-Sportler Falko Weisspflog inspiriert ihn schliesslich zu seinem Künstlername. Falco tritt als Bassist dem Anarcho-Ensemble Drahdiwaberl bei und schreibt das oben erwähnte „Ganz Wien“. Es passt allerdings nicht ins Konzept der Band und wird deshalb von Falco in der Pause alleine vorgetragen. 1981 wird er von dem Wiener Plattenboss Markus Spiegel entdeckt, der mit ihm einen Vertrag über drei Solo-Alben abschliesst. Zusammen mit Robert Ponger produziert er den „Kommissar“, der erst in Österreich, dann in Europa und dann international zum Hit wird.

„Der Kommissar“ verkaufte sich weltweit sieben Millionen Mal und gilt heute als erster kommerziell erfolgreicher Rap-Song eines weissen Künstlers. Die Frage, ob nun Falco darauf tatsächlich rappt oder ob das Riff nicht doch ein ziemlich offenkundiges Rip-Off von Rick James’ „Super Freak“ ist, prallte an dem Künstler angesichts seines umwerfenden Erfolges ab. Falco wirkt in dieser Phase bereits erstaunlich abgeklärt, um nicht zu sagen besserwisserisch. Er ereifert sich in Interviews über das provinzielle Musikgehabe im deutschsprachigen Raum. Dass er damit nicht ganz unrecht hatte, musste die Kollegen umso mehr schmerzen. Gleichzeitig surfte Falco allerdings ebenfalls auf der Neuen Deutschen Welle und als diese 1983 verebbte, blieb unkar, wie es mit seiner Karriere weitergehen sollte. 1984 erscheint das ebenfalls von Robert Ponger produzierte Album „Junge Römer“, das heute als Meisterwerk gilt, damals aber floppte. Falco trennte sich von Ponger und engagierte das holländische Produzentenduo Rob und Ferdi Bolland. Mit „Falco 3“ erlebt er ein glanzvolles Comeback. „Rock Me Amadeus“ erreicht am 16. März 1985 als erster und bisher einziger deutschsprachige Song Platz eins der amerikanischen Singlecharts.

Persönlich fing ich an, das Interesse an Falco zu verlieren. Was er zu sagen hatte, schien mir mit „Amadeus“ gesagt: Falco als koksender Mozart, ein Genie, ein Punk mit rosa Perücke, exaltiert, r-r-r-rock me, die Frauen liebten ihn, because er hatte Flair undsoweiter. Falco sei Hip-Hop, weil er das Recht des Underdogs auf Konsum und Glamour verkörpere, argumentierte sinngemäss der letztes Jahr verstorbene Wiener Musikproduzent Werner Geier - da ist was Wahres dran, aber genau deshalb langweilt mich ja auch Hip-Hop. „Jeanny“ jedenfalls war nicht Hip-Hop und schien mir selbst als Sechzehnjähriger zu durchschaubar, lustig fand ich allenfalls die Reaktionen darauf (die Medien schrien „Skandal!“ und Thomas Gottschalk nannte Falco ein „Wiener Würstchen“). Danach war irgendwie Schluss. 1986 erschien „Emotional“, dessen Titelsong mich zwar irgendwie berührte, den ich aber seither nie mehr bewusst gehört habe. Das Album widmete er seiner Tochter, die sich dann unglücklicherweise als die eines anderen herausstellte. Von „Wiener Blut“ (1988), „Data de Groove“ (1990) und „Nachtflug“ (1992) hab ich ehrlich gesagt noch nie was gehört. Von den Singles „Mutter, der Mann mit dem Koks ist da“ (1995) und „Naked“ (1996) leider schon. Aber diese Kirmes-Techno-Hits stammten nicht mehr vom selben Falco. Der alte Falco hatte seine Welteroberungspläne Ende der Achtzigerjahre begraben, vielleicht tatsächlich aus der vielzitierten Angst der Österreicher vor zuviel Erfolg. Der neue aber war das, was Falco an anderen immer kritisiert hatte: reinster Durchschnitt.

Was ich dann aber erst viel später realisierte: Hans Hölzel war nicht arrogant. Vielmehr hat sich Falco jene doppelbödige Vulgarität als Schutzmantel umgelegt, die man als Wiener Schmäh bezeichnet und ausserhalb unseres Verständnishorizontes liegt. Dazu nur so viel: Der Wiener Schmäh erlaubt es seinem Träger, sich unsympathisch zu geben und dabei trotzdem grundsympathisch zu bleiben. Oder wie Falco selbst einst sagte:“ Ich bemüh' mich mi zu benehmen wie a Mensch und versuche niemanden auf die Füsse zu steigen. Und wann mir ana auf die Füss steigt, dann rauch i ma a Zigarett'n an und blas er'm um.“ Er war halt eben doch ein Grosser. Friede seiner Asche.

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