That Low Stuff
Paul McCartney ist einer der wichtigsten Rockbassisten. Dafür wird er selten gelobt. Meist heisst es, er sei eigentlich ein Gitarrist gewesen, dem man nur zufällig den Bass in die Hand gedrückt hat.
McCartneys Karriere als Leadgitarrist war eine sehr kurze. „Bei den Quarrymen stieg ich ursprüglich als Gitarrist ein“, erinnert er sich in einem Interview, das er 1995 dem Finger- und Daumenblatt „Bass Player“ gewährte. „Als wir dann später mit den Beatles nach Hamburg gingen, hatte ich mir zuvor diese billige Gitarre gekauft, eine Rosetti Solid Seven, die dem dampfenden Star-Club und unserem wilden Rumgehopse nicht gewachsen war.“ Der junge McCartney stieg - ganz Universalgenie, das er war - kurzerhand aufs Klavier um, was ihm schon kurze Zeit später zum Verhängnis werden sollte. Es war im Juni 1961, als Stuart Sutcliffe der Band eröffnete, er werde nicht nach England zurückkehren, sondern mit seiner Verlobten Astrid Kirchherr in Hamburg Kunst betreiben. Für die Beatles bedeutete dies zwar nicht das Ende der Welt- Sutcliffe war ein solider, aber keineswegs innovativer Bassist -, doch mussten jetzt die verbleibenden Musiker untereinander ausmachen, wer die vakante Rolle besetzen soll. „Also ich machs nicht“, soll George Harrison als erster gerufen haben. „Und ich sowieso nicht“, echote Bandleader Lennon hinterher.
Es schien also nicht gerade so, als hätten sich die Beatles um den Posten gestritten. Die drei jungen Liverpooler wollten alle vorne stehen, gut aussehen, „to pull the birds“, wie es McCartney formulierte. Bei anderen Bands sei immer der „fat guy“ der Bassist gewesen, viele gaben sich zudem damit zufrieden, die simplen Akkordfolgen mit noch simpleren Grundtönen zu begleiten. McCartney selbst hielt sich für den Job zwar überqualifiziert, hatte aber die schlechteren Karten in der Hand, „nämlich nicht mal eine eigene Gitarre.“
Und so schnappte sich der bekennende Linkshänder Stus Bass und spielte ihn verkehrt herum. „Ich übte früher oft auf Rechtshändergitarren, John nahm sich übrigens auch oft meine Linkshändergitarren und spielte darauf mit der Zeit ziemlich gut.“ In Tat und Wahrheit hatte aber McCartney wenig Ahnung vom Bassspielen. „Hear that low stuff? That’s the bass“, soll ihn sein Vater einst in die Welt des Tieffrequenten eingeführt haben.
Paul McCartney war allerdings schon damals ein begnadeter Pragmatiker und machte sich bei der Konkurrenz schlau. Besonders die frühen Motown- und Beach-Boys-Platten hatten es ihm angetan. „James Jamerson war wohl der wichtigste Einfluss, abgesehen von Brian Wilson natürlich.“ Von Wilson lernte er, was der Bass alles mit Akkorden anstellen kann. „Da spielt zum Beispiel die Band einen C-Dur-Akkord und der Bass bleibt auf dem G; das ist schiere Macht, keine gewalttätige zwar, sondern eher eine subtile Kontrolle, die er auf die Band und damit auf die Musik ausübt.“
Da McCartney weiterhin an vorderster Front die Vögel ziehen wollte, entschied er sich bei der Wahl seines neuen Instrumentes für die kleinste und leichteste Variante, den berüchtigten Höfner 500/1 Violin Bass. Der Bass ist, der Name sagt es eigentlich schon, nur wenig grösser und schwerer als eine Geige und verfügt über wenig Fundament sowie ein sehr kurzes Sustain. Bereits auf „With the Beatles“ ist zu hören, wie McCartney seinen ureigenen Stil gefunden und zunehmend verfeinert hat. Da er weitaus mehr Ahnung von Harmonielehre hatte als John Lennon, war es für ihn ein leichtes, die einigermassen traditionellen Akkordfolgen zu umspielen und harmonisch zu ergänzen. In gewisser Weise findet unten statt, was oben mit den Chorstimmen und Harrisons Gitarre geschieht – alles scheint sich zu umschmeicheln und kunstvoll ineinanderzugreifen. Dass es McCartney dabei gelingt, gleichzeitig mit Ringo Starr zusammen das Fundament für diese frühe Art von Rockmusik zu legen, spricht für sein musikalisches Genie – das müssen selbst die ärgsten McCartney-Kritiker anerkennen.
Geht es um die Beatles, gibt es immer ein paar Experten, die es noch besser wissen als die Fab Four selbst. McCartney behauptet beispielsweise, er habe auf dem Höfner-Bass „all that sort of high thrilling stuff I used to do“ entwickelt. Bassologen melden da ihre berechtigten Zweifel an, da der Violin Bass alles andere als bundrein und oberhalb des vierten Bundes kaum spielbar war. McCartney glaubt sich zudem zu erinnern, auf „Rubber Soul“ ausschliesslich den Höfner gespielt zu haben, während „Drive My Car“ und „Think for Yourself“ doch bereits verdächtig nach dem Rickenbacker 4001S klingen, den er ab 1965 benutzte.
Dem Rickenbacker blieb McCartney bis zum Ende der Beatles treu. Sehr schön zu hören ist sein „high thrilling stuff“ auf Stücken wie „Rain“ oder „Paperback Writer“. Man liest zwar oft, dass McCartney eigentlich ein Gitarrist und kein Bassist sei, doch hört man sich die Beatle-Alben auf das Bassspiel hin an, merkt man rasch, dass dies falscher nicht sein könnte. Mit Ausnahme von „I Want You (She’s So Heavy)“ soliert der Multiinstrumentalist nie, stets spielt er Bassläufe im eigentlichen Sinne – wenn auch recht komplexe. Es mag im Jazz oder R’n’B virtuosere Bassisten gegeben haben - Paul McCartney aber hat den Bass als eigenständiges Intrument in der Rockmusik emanzipiert. Dafür müsste er eigentlich nochmals zum Sir geadelt werden.
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