Dienstag, 28. Oktober 2008

Vater des Ambient



Mit „Ambient 1: Music for Airports“ erschien vor dreissig Jahren ein Album, das einen neuen Musikstil begründete. Brian Eno rückte damit quasi die Hintergrundmusik in den Vordergrund.


Es muss irgendwann im Jahr 1977 gewesen sein, als Brian Eno im Flughafen Bonn-Köln auf seinen Anschlussflug wartete. Es fiel ihm dabei gleich mehrerlei auf. Erstens die kunstvolle Architektur, zweitens das angenehme Wetter und drittens die grässliche Musik, die drinnen auf die Wartenden niederrieselte. „Ich habe das nicht verstanden“, erinnert sich der Künstler später. „Da geben sie für diesen wirklich schönen Flughafen so viel Geld aus, doch über die Musik, die ja auch zur Gestaltung eines Raumes beiträgt, machen sie sich keine Gedanken.“ Und falls doch, dann die falschen. „Diese Musik ist doch viel zu fröhlich, so als wolle sie den Fluggästen versichern: Nein, du hast nichts zu befürchten, das Flugzeug wird nicht abstürzen und du wirst nicht sterben. Dabei müsste sie doch eher bedeuten: Ja, vielleicht stirbst du und es spielt keine grosse Rolle.“

An jenem Nachmittag entschied sich Brian Eno, die Welt ein bisschen besser zu machen, indem er über eine mögliche Musik für Flughäfen nachzudenken begann. Wie musste eine solche Musik beschaffen sein? Sie sollte möglichst entweder nur sehr tiefe oder dann sehr hohe Tönen beinhalten, um den für menschliche Stimmen wichtigen mittleren Frequenzbereich nicht zu überlagern. Die Stücke sollten zudem sehr lang sein („Die Leute sind beschäftigt und wollen nicht von einem ständig wechselndem Programm abgelenkt werden.“) und für Ansagen jederzeit problemlos unterbrochen werden können. Bereits in den Sechzigern hatte sich der ehemalige Keyboarder von Roxy Music für Steve Reichs Minimalismus begeistert, ein weiterer wichtiger Einfluss war Eric Satie, der vor 120 Jahren mit seiner „Furniture Music“ Neuland betrat und dessen „Gymnopédies“ heute noch gerne zur Untermalung von Werbespots für Lebensversicherungen benutzt werden. Eno selbst hatte bereits 1973 auf „(No Pussyfooting)“ mit Ambient-Klängen experimentiert, mit „Ambient 1: Music for Airports“ begründete er 1978 einen eigentlichen Musikstil.

„Als Komponist neigt man dazu, mehr in seine Musik hinzupacken, als man es als Zuhörer eigentlich gerne hätte. Als Musiker denke ich: Oh Gott, hier geschieht ja einen Takt lang rein gar nichts, als Zuhörer hingegen bin ich froh über jede Pause zwischen den einzelnen Tönen.“ Eno nutzte diese Erkenntnis während den Aufnahmen für „Music for Airports“. Im ersten und längsten der vier Stücke lässt er zwei einsame Klaviermelodien, die eine akustisch, die andere elektrisch, miteinander korrospondieren. Die stark verlangsamten Tonbandschlaufen nähern sich im Laufe des Stückes an, überlagern sich kurz, um sich dann wieder voneinander zu entfernen. Dies alles geschieht in grandioser Langsamkeit und vermittelt eine unglaubliche Ruhe und Selbstgenügsamkeit. Als Pausenglocken-Intervalle für Problemschulen würde die Melodie jedenfalls Wunder bewirken.

Im zweiten Stück geht es eigentlich im gleichen Stil weiter, ein Engelschor, der auffällig nach Fairlight klingt (es aber nicht sein kann, da der Sampler erst ein Jahr später auf den Markt kam) ersetzt das Klavier. Das Klangbild wird allgemein heller und strahlender; es ist klar, dass Eno hier nicht nur das Warten in der Flugenhafen-Lounge, sondern auch das Fliegen selbst musikalisch thematisiert. Auch hier erzeugt die Langsamkeit, mit der sich die Melodie entwickelt, ein seltsames Gefühl von Zeit- und Schwerelosigkeit. Gut möglich, dass Eno mit seinen langen Pausen zwischen den einzelnen Tönen das musikalische Gedächtnis austrickst, es ist jedenfalls weder eine Richtung noch ein Ende zu erahnen und fast unmöglich, dabei nicht abzuschweifen. Ab einem gewissen Punkt nimmt der Hörer die Musik nicht mehr bewusst wahr, erschrickt hingegen fast, wenn sie zu Ende ist. Im dritten Stück wieder Chorgesang und das Klavier gesellt sich dazu, im vierten spielt ein Synthesizer die Hauptrolle. Der Arp 2600, den Eno im Studio von Krautrock-Legende Conny Plank in Köln aufgenommen hat, während die anderen Stücke in London entstanden sind.

In den Liner Notes zu „Music for Airports“ geht Eno kurz auf die Geschichte des Muzaks ein (der Begriff geht auf die Firma Muzak Inc. zurück, die in den Fünfzigerjahren seichte Instrumentalmusik für die Beschallung von Kaufhäusern produzierte). Er spricht sich zwar dezidiert für „Inviromental Music“ aus, räumt aber ein, dass dieser in der Vergangenheit ein schlechter Ruf anhaftete. Ambient, so wie er ihn versteht, müsse „auf verschiedenen Aufmerksamkeitsstufen funktionieren, ohne dabei eine spezifische besonders zu fordern. Eine solche Musik müsse „as ignorable as interesting“ sein.

Die Schwierigkeiten, die manche Menschen mit Ambient haben, basieren in der Tat zumeist auf dem Missverständnis, man müsse dieser Musik ständig zuhören. Das sollte man in diesem Falle eben nicht. Wogleich dem Scheitern hierbei eine besondere Süsse innewohnt. Als Satie eines seiner Werke uraufführte, verlangte er vom Publikum, es solle während des Konzertes im Raum herumschlendern und versuchen, der Musik nicht bewusst zuzuhören. Doch die Besucher blieben schon nach kurzer Zeit stehen und lauschten gebannt den beruhigenden Klängen.

Genau das kann einem bei „Music for Airports“ auch passieren.

Brian Eno „Ambient 1: Music for Airports“ (EMI).

Montag, 1. September 2008

Chasing Amy




Ein sympathischer Stalker will der dem Untergang geweihten Sängerin Amy Winehouse seine Aufwartung machen. Wenn das mal keine gute Idee für ein Drehbuch ist.


Am 9. Juli bricht der nicht mehr ganz so junge Mann - ausgestattet mit etwas Geld, einer Videokamera und einer guten Portion Flugangst - tatsächlich auf. Keiner hätte ihm das zugetraut, es wollte aber auch keiner mit. Und so hält ihm, der noch nie geflogen ist, niemand die Hand, als er im von Wolken bedeckten London landet (die Reise mit dem Zug hätte ihn 1200 Franken gekostet und das Budget deutlich überschritten).

Amy Winehouse wohnt in Camden Town, soviel ist klar. Doch bereits die Suche nach einer geeigneten Bleibe in der Nähe der Angebeteten erweist sich als mühselig. Die eine Unterkunft verlangt nach einer Kreditkarte, die andere für die Aussicht, einen Raum mit 14 weiteren Touristen teilen zu dürfen, happige 20 Pfund. Nach mehreren Anläufen wird der Reisende doch noch fündig und er begibt sich auf die Suche nach der von ihm so favorisierten Sängerin. Elf Tage will er sich dafür Zeit nehmen - entsprechend der Anzahl Songs, die sich auf dem Album „Back to Black“ befinden.

Tags darauf in den Strassen von Camden: Sein Blick fällt auf ein mit „Winehouse“ beschriftetes Gebäude. Es handelte sich offenbar um eine Weinhandlung, doch erscheint es ihm wie ein erster Fingerzeig. Später entdeckt er eine Galerie, die nicht nur Porträt von Amy, sondern auch freundliche Menschen beherbergt, mit denen er ins Gespräch kommt. Er klimpert auf dem Klavier, trinkt auf der Dachterrasse Bier. Er filmt die Fassaden der Strasse, in der sich das „Winehouse“ befindet. Nach zwanzig Metern dann plötzlich eine Tafel: „Tonight DJ Battle Amy Winehouse vs DJ Bioux“. Das Lokal heisst „Monarch“. Er geht hinein und fragt, ob es sich um einen Irrtum handle. Nein, Amy lege hier tatsächlich heute auf.

Er lernt Tom kennen. Tom ist gross, Anfang zwanzig, kleidet sich wie Pete Dorethy und kennt in Camden jeden. Natürlich kennt Tom auch Amy Winehouse, mit ihr hat er schon zusammengewohnt und auch den Abend im „Monarch“ organisiert. Unser Schweizer macht sich mit dem Verteilen von Parisiennes beliebt, „the best cigarettes in whole world“, wie die anwesenden Londoner anerkennend feststellen. Geraucht wird im Garten.

Schliesslich erhält er von Tom die Zusage, er könne sich ein Ticket, das sonst nur im Internet reserviert werden könne, für 12 Pfund an der Abendkasse abholen. Der Jungfilmer erforscht mit seiner Kamera das Innere des Pubs. Das DJ-Pult ist bereits aufgestellt, dahinter hängt eine riesige Union-Jack-Flagge. Er lässt sich in einer Ecke nieder, behält den Raum im Auge. Gegen neun Uhr füllt sich der Klub, etwas später dann plötzlich Lärm und Blitzgewitter von draussen. Ein Wagen fährt vor, und tatsächlich: Amy Winehouse betritt den Raum, gefolgt von einer Horde von Paparazzi. „Hi, Amy! Over here, Amy!“ Auch andere Besucher zücken jetzt ihre Handys und Kameras.

Amy begrüsst Tom, lässt sich einen Drink geben und begibt sich zum DJ-Pult. Sofort scharen sich die Fotografen um die Sängerin. Die gibt sich erst pflichtbewusst und wirft sich in Posen, erinnert sich dann aber wohl daran, dass vorteilhafte Bilder von ihr ohnehin nicht erscheinen werden - und beginnt gelangweilt Fratzen zu schneiden.

Nach einer Viertelstunde dann endlich Musik: „Love Cats“ von den Cures, Dexy Midnight Runners’ „Geno“, „A Message to You, Rudy” von den Specials. Dazu jede Menge Motown. Dass Amy Winehouse dabei nicht wirklich Platten auflegt, sondern ihren angekündigten Antagonisten lediglich mit musikalischem Material versorgt – die meiste Zeit kauert sie vor den Plattenkoffern -, ist den englischen Tabloids noch zwei Tage später eine Meldung wert. „The Sun“ hingegen delirierte von einem weissen Pulver, das sie angeblich unter Amys Nase gesichtet haben will. Unser Held weiss davon nichts zu berichten, räumt aber ein, dass die für ihren Drogenkonsum berüchtigte Künstlerin während ihres DJ-Sets „zwei- oder dreimal“ in einem Hinterraum verschwunden sei.

Aber für derlei hat der Hingerissene ohnehin keine Augen mehr: „Sie sah super sexy aus“, erzählt er. Pink das über dem Bauchnabel zugeknöpfte Hemd, sehr kurz die Shorts, sehr hoch die Frisur. Doch sein Problem ist ein anderes: So nahe würde er an seine Angehimmelte nicht mehr herankommen, er musste jetzt irgendetwas tun: Er drängt sich vor, nimmt mit Amy Augenkontakt auf. Im Haar trägt sie ein Herz, auf dem „Blake“ steht - stimmt, sie ist ja verheiratet. Womöglich hat er schon zu viel getrunken und überhaupt: Was macht er hier eigentlich? Seine Lippen formen die Worte „I love you“. Sie hats gesehen, bestimmt, dreht aber den Kopf zur Seite und plötzlich erscheint ihm das alles sinnlos. „I Will Never Be You Girl“ lautet der Titel des Songs, den er beim Verlassen des „Monarch“ noch hört.

Am nächsten Tag: Nüchterne Betrachtung des aufgenommenen Videomaterials. Irgendwann hatten Amys Bodyguards eine VIP-Kordel um das DJ-Pult gespannt und unserem Filmer die Drehgenehmigung entzogen. Doch der war nicht unschlau und stellte die laufende Kamera auf eine Auflage hinter einer Trennscheibe. „Und was mach ich Depp? Ich stell’ nach fünf Minuten eine Bierflasche vor die Scheibe!“ Zusätzlicher Frust also und die Stimmung wird beim Lesen der einschlägigen Zeitungen nicht besser. Von einem „bizarren Auftritt“ ist da die Rede, Amy Winehouse sei in der Nacht noch barfuss und mit zwei gestohlenen Lampen um die Häuser gezogen. „Sie hat halt die Schuhe ausgezogen, und die Lampen mitgenommen. Ich finde das nicht besonders schlimm“, meint der Fan, der im Übrigen nicht der Ansicht ist, dass Amy Winehouse schutzlos den Verlockungen ihres frühen Ruhms ausgesetzt ist. „Sie hat genügend Freunde, die sich um sie kümmern. Leute, die sie seit ihrer Jugend kennt.“

Leute wie Tom, bei dem es sich vermutlich um den Sohn eines bekannten BBC-Moderators handelt. Oder wie Collin, der einräumt, auch schon mal mit der Sängerin Kokain konsumiert zu haben. Reiche und weniger reiche, talentierte und weniger talentierte, schöne und weniger schöne junge Engländer, die nicht viel arbeiten und trotzdem immer genügend Geld haben, um sich das Leben der Londoner Bohème leisten zu können. Die Boulevard-Presse hingegen saugt die Szene ebenso aus, wie sie sie füttert. Kaum ein Tag, in der „The Sun“ nicht irgendeinen „engen Freund von Amy“ zitiert. Und ist gerade keiner zur Hand, bleibt da immer noch ihr Vater, der verzweifelt versucht, das voyeuristische Interesse, das die Medien dem Schicksal seiner Tochter entgegenbringen, in Richtung Verständnis, Rücksicht und Mitgefühl zu lenken. Mit lauem Erfolg, ist man gezwungen hinzufügen.

„Du bist also einer dieser Paparazzi“, schnauzte unser Schweizer einen der Fotografen vor dem „Monarch“ an. „Keineswegs“, entgegnete dieser. Er mache nur die Fotos, die Auswahl würden andere treffen. Heute hätte er von Amy etwa 200 Bilder geschossen. Nichts Aussergewöhnliches, die Sängerin wird täglich von einem ganzen Pulk von Fotografen verfolgt. „Einmal ist sie zu mir morgens um drei früh ins Geschäft gekommen und wollte Schokolade kaufen“, erzählt der Besitzer der Food Station an der Strassenecke. Sie hätte kein Geld dabei gehabt und einem der Fotografen zugerufen: „Bezahl das mal für mich!“ Bei Britney Spears ging diese Art von Intimität zwischen Kuh und Fliege so weit, dass sie sich sogar auf eine Beziehung mit einem ihrer anhänglichen Begleiter einliess.

Weshalb aber setzt sich jemand wie Amy Winehouse der ständigen Belästigung der Fotografen überhaupt aus? Schliesslich hat sie Millionen von CDs verkauft und könnte auf den Bahamas liegen, würde sie denn ein Einreisevisum erhalten. „Sie ist halt in Camden Town sozialisiert worden, ihr gefällt es hier“, weiss der Kenner. „Zudem hab ich das Gefühl, dass sie die Aufmerksamkeit braucht. Sie scheint mir ambivalent: Halb geniesst sie das Katz-und-Maus-Spiel mit den Paparazzi, halb ekelt es sie an.“

Camden ist in der Tat nicht uncool. Hier, wo sich einst die Hippie- und später die Punk- und Gothicszene formierte und sich Bon Scott die ultimative Kante gab, lässt es sich gut leben. Das unspektakuläre Häuschen von Winehouse zeugt darüber hinaus von einer eher existenzialistischen Lebenseinstellung der bald 25-Jährigen. Die Wahl ihres Lebenspartners hingegen von einem Hang zum Selbstzerstörerischen: Der Volksschulabbrecher Blake Fielder-Civil, den sie im Frühling 2007 heiratete, sitzt derzeit wegen Körperverletzung im Geföngnis und es deutet vieles darauf hin, dass sein Einfluss auf Amy nicht der allerbeste ist: Vor einem Jahr wurde die Sängerin mit einer Überdosis eines nicht zu empfehlenden Cocktails aus Heroin, Ecstasy, Kokain, Ketamin und Alkohol in eine Klinik eingeliefert. Ein Clip auf Youtube, der die beiden zusammen zeigt, wie sie im Bahnhof Paddington auf Gott weiss was warten, illustriert die fatale Beziehung. Hier der hühnenhafte Blake, dort die klapprige Amy, die sogleich in Panik ausbricht, als sich ihr Ehemann einige Meter von ihr entfernt - eine Amour fou, von der man noch viel hören und lesen wird.

Ganz ohne Geschenk will sich unser Protagonist dann doch nicht von Amy verabschieden. Beim planlosen Umherirren in Camdens Strasse stösst er auf eine Gruppe von Journalisten, die vor einem Hauseingang herumlungert. Kurz zuvor hatte es ihm in einer Kirche der heilige Michael angetan, ein Drachentöter vor dem Herrn. Ein Heiligenbild, eine Rose, eine Schachtel der besten Zigaretten der Welt und eine knappe Liebesbotschaft schnürt er zu einem Päckchen zusammen. „Some kind of Vodoo, I hope you don’t worry about it“, schreibt er dazu. Er will das Packet einem der Bodyguards geben, mit der Bitte, er solle es doch Amy zustecken. Dieser sagt, er könne es ihr gleich selber überreichen, die Sängerin werde gleich herauskommen. Nach einer Stunde fährt ein Wagen vor, doch von Amy ist nichts zu sehen. Die Limousine fährt wieder weg, die Paparazzi fluchen vor sich hin. Nur der Fan macht sich Vorwürfe. „Wahrscheinlich hat sich mich gesehen und sich deshalb nicht herausgetraut“, spekuliert er ebenso selbstkritisch wie grössenwahnsinnig.

Vielleicht zu viel der Ehre und vielleicht hat das Päckchen ja seine Adressatin doch noch erreicht. Unser Held jedenfalls beteuert, sich nach dieser zumindest zum Teil erfolgreicher Mission als besserer Mensch zu fühlen. „Das Leben“, so bemerkte Peter Handke einst klug, „schreibt bekanntlich die besten Geschichten - nur das es nicht schreiben kann.“

Filmen kann es aber eben auch nicht.

Mittwoch, 28. Mai 2008

Wiener Blut




Raus aus der Mittelmässigkeit und wieder zurück: Der vor zehn Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommene Hans Hölzel alias Falco war Österreichs einziger Popstar von Weltformat.


Keine Ahnung, weshalb ich mir im Sommer 1982 die Single „Maschine brennt“ gekauft
habe. Eigentlich war ich ja hinter dem „Kommissar“ her, den aber das Radio-/TV-Geschäft meines Vertrauens nicht im Angebot hatte. Auf der B-Seite war dann dieses Lied. Es handelte von Wien, von Kokain und Heroin, vor allem aber davon, dass dieser gut angezogene Mittzwanziger mit dem eklig nach hinten gegelten Haar offenbar einiges mehr vom Leben wusste als der 13-jährige, der ich damals war. Kurz zuvor hatte ich in dem Musikermagazin „Fachblatt“ ein Interview mit Falco gelesen, in dem er das Ende von Bass und Schlagzeug ankündigte. Er schwärmte von dem damals neuen Linn-Drumcomputer und den Möglichkeiten, die sich durch das brandneue Midi-Protokoll ergeben würden. Ich war beeindruckt, wunderte mich allerdings als Schlagzeuger, weshalb er sich als Bassist so sehr an der Aussicht delektierte, dass wir beide in Zukunft nichts mehr zu tun haben sollten. So erging es mir lange Zeit mit Falco. Ich dachte immer: Schön, dass er so erfolgreich ist, aber muss der eingebildete Dandy diejenigen, die auf der Strecke bleiben, unbedingt verspotten? Muss er bei jedem Interview Kinski-like zuallererst die Frage kritisieren („wieso ausdrücken? Ich bin doch keine Zitrone“)? Und muss er bei jeder Gelegenheit daran erinnern, dass er den Rap nach Europa und die Deutsche Sprache in die US-Charts gebracht hat? Welches Leid hat man dem Mann angetan? Wofür rächt er sich?

Als einziger Überlebende von Drillingen kommt Hans Hölzel am 19. Februar 1957 in Wien zur Welt. Sein musikalisches Talent wird früh entdeckt und gefördert, mit vier bekommt er ein Klavier, mit fünf attestiert ihm die Wiener Musikakademie ein absolutes Gehör. Hansi besucht eine katholische Privatschule, wechselt ans Gymnasium, bricht 1973 die Schule ab, um sich an der Musikakademie einzuschreiben. Nach einem Semester verlässt er auch diese, um, wie er sagt, „ein richtiger Musiker“ zu werden. 1977 zieht er für einige Monate nach West-Berlin, in der Hoffnung, dort David Bowie anzutreffen. Der DDR-Sportler Falko Weisspflog inspiriert ihn schliesslich zu seinem Künstlername. Falco tritt als Bassist dem Anarcho-Ensemble Drahdiwaberl bei und schreibt das oben erwähnte „Ganz Wien“. Es passt allerdings nicht ins Konzept der Band und wird deshalb von Falco in der Pause alleine vorgetragen. 1981 wird er von dem Wiener Plattenboss Markus Spiegel entdeckt, der mit ihm einen Vertrag über drei Solo-Alben abschliesst. Zusammen mit Robert Ponger produziert er den „Kommissar“, der erst in Österreich, dann in Europa und dann international zum Hit wird.

„Der Kommissar“ verkaufte sich weltweit sieben Millionen Mal und gilt heute als erster kommerziell erfolgreicher Rap-Song eines weissen Künstlers. Die Frage, ob nun Falco darauf tatsächlich rappt oder ob das Riff nicht doch ein ziemlich offenkundiges Rip-Off von Rick James’ „Super Freak“ ist, prallte an dem Künstler angesichts seines umwerfenden Erfolges ab. Falco wirkt in dieser Phase bereits erstaunlich abgeklärt, um nicht zu sagen besserwisserisch. Er ereifert sich in Interviews über das provinzielle Musikgehabe im deutschsprachigen Raum. Dass er damit nicht ganz unrecht hatte, musste die Kollegen umso mehr schmerzen. Gleichzeitig surfte Falco allerdings ebenfalls auf der Neuen Deutschen Welle und als diese 1983 verebbte, blieb unkar, wie es mit seiner Karriere weitergehen sollte. 1984 erscheint das ebenfalls von Robert Ponger produzierte Album „Junge Römer“, das heute als Meisterwerk gilt, damals aber floppte. Falco trennte sich von Ponger und engagierte das holländische Produzentenduo Rob und Ferdi Bolland. Mit „Falco 3“ erlebt er ein glanzvolles Comeback. „Rock Me Amadeus“ erreicht am 16. März 1985 als erster und bisher einziger deutschsprachige Song Platz eins der amerikanischen Singlecharts.

Persönlich fing ich an, das Interesse an Falco zu verlieren. Was er zu sagen hatte, schien mir mit „Amadeus“ gesagt: Falco als koksender Mozart, ein Genie, ein Punk mit rosa Perücke, exaltiert, r-r-r-rock me, die Frauen liebten ihn, because er hatte Flair undsoweiter. Falco sei Hip-Hop, weil er das Recht des Underdogs auf Konsum und Glamour verkörpere, argumentierte sinngemäss der letztes Jahr verstorbene Wiener Musikproduzent Werner Geier - da ist was Wahres dran, aber genau deshalb langweilt mich ja auch Hip-Hop. „Jeanny“ jedenfalls war nicht Hip-Hop und schien mir selbst als Sechzehnjähriger zu durchschaubar, lustig fand ich allenfalls die Reaktionen darauf (die Medien schrien „Skandal!“ und Thomas Gottschalk nannte Falco ein „Wiener Würstchen“). Danach war irgendwie Schluss. 1986 erschien „Emotional“, dessen Titelsong mich zwar irgendwie berührte, den ich aber seither nie mehr bewusst gehört habe. Das Album widmete er seiner Tochter, die sich dann unglücklicherweise als die eines anderen herausstellte. Von „Wiener Blut“ (1988), „Data de Groove“ (1990) und „Nachtflug“ (1992) hab ich ehrlich gesagt noch nie was gehört. Von den Singles „Mutter, der Mann mit dem Koks ist da“ (1995) und „Naked“ (1996) leider schon. Aber diese Kirmes-Techno-Hits stammten nicht mehr vom selben Falco. Der alte Falco hatte seine Welteroberungspläne Ende der Achtzigerjahre begraben, vielleicht tatsächlich aus der vielzitierten Angst der Österreicher vor zuviel Erfolg. Der neue aber war das, was Falco an anderen immer kritisiert hatte: reinster Durchschnitt.

Was ich dann aber erst viel später realisierte: Hans Hölzel war nicht arrogant. Vielmehr hat sich Falco jene doppelbödige Vulgarität als Schutzmantel umgelegt, die man als Wiener Schmäh bezeichnet und ausserhalb unseres Verständnishorizontes liegt. Dazu nur so viel: Der Wiener Schmäh erlaubt es seinem Träger, sich unsympathisch zu geben und dabei trotzdem grundsympathisch zu bleiben. Oder wie Falco selbst einst sagte:“ Ich bemüh' mich mi zu benehmen wie a Mensch und versuche niemanden auf die Füsse zu steigen. Und wann mir ana auf die Füss steigt, dann rauch i ma a Zigarett'n an und blas er'm um.“ Er war halt eben doch ein Grosser. Friede seiner Asche.

Dienstag, 26. Februar 2008

Die Keule



So nah kommt keiner an die ganz grossen Stars ran: Seit über 40 Jahren ist das Neumann U87 der Studiostandard in Sachen Mikrofone.


Wer von Popmusik spricht, meint dabei oft deren Inhalt oder bestenfalls die ästhetische Absicht, die sich dahinter verbirgt, und übersieht dabei gerne, wie stark diese von den Produktionsmitteln und -bedingungen abhängig ist. Ohne die digitale Revolution hätte Hip-Hop die Achtzigerjahre nicht überlebt und Elektrofolk existiert nur, weil die aktuellen DAWs (Digital Audio Workstation) ihre User zur Zusammenführung von Audio- und Midisignalen einladen. Tatsächlich wird über Aufnahmetechniken ausserhalb von Fachmagazinen und SAE-Kursen nur ungern debattiert, haftet doch der Herstellung von Musik nach wie vor etwas Industrielles an (die weissen Laborkittel der Tontechniker in den Abbey-Road-Studios mögen dazu beigetragen haben).

Vom ersten Synthesizer über das Mehrspurverfahren bis hin zu den digitalen Arbeitsstationen mit ihren kaum auszulotenden Möglichkeiten: Die technischen Neuerungen der letzten 40 Jahre sind imposant, täuschen aber nicht darüber hinweg, dass sie die Popmusik zwar immer mal wieder reformiert, immer seltener aber revolutioniert haben. Und noch etwas ist bemerkenswert: Im Signalweg zwischen Sender und Empfänger, zwischen Künstler und Konsument haben sich in all diesen Jahren zwei Komponenten kaum verändert. Hier das Mikrofon, dort der Lautsprecher. Dass diese auch noch miteinander verwandt sein sollen - jeder Lautsprecher lässt sich im Prinzip auch als Mikrofon (und umgekehrt) verwenden -, ist systemimmanent, also Musik: Schwingung trifft auf Membrane, Membrane erzeugt Schwingung.

Während es bei den Lautsprechern lange Zeit darum ging, sie möglichst laut zu machen, herrschte bei den Mikrofonen über Jahrzehnte hinweg kaum Handlungsbedarf. Nicht dass sie von Anfang an perfekt gewesen wären, nur waren sie selten das schwächste Glied in der Übertragungskette. Erfunden wurde das erste Mikrofon im Zusammenhang mit dem Telefon, vermutlich 1860 von Antoni Meucci, der allerdings das Geld für eine Patentanmeldung nicht aufbringen konnte und deshalb in Vergessenheit geriet. Alexander Graham Bell bediente sich Meuccis Idee – Schall wird in ein elektromagnetisches Signal gewandelt -, David Edward Hughes verbesserte das Prinzip zum Kohlenmikrofon und der Deutsche Georg Neumann präsentierte Mitte der Zwanzigerjahre schliesslich das erste Kondensatormikrofon.

Grundsätzlich war die Entwicklung damit abgeschlossen. Mit dem Neumann CMV3 lassen sich noch heute exzellente Aufnahmen erzielen. Zwar klingen die Hitler-Reden (das CMV3 war auch als „Hitlerflasche“ bekannt) nicht unbedingt nach Hi-Fi, was aber der Empfindlichkeit des Mikrofons, beziehungsweise den schlechten Aufzeichnungsgeräten und gealterten Tonträgern zuzuschreiben ist. Nach dem Krieg erschien dann mit dem Neumann U47 das erste Mikrofon mit elektrisch umschaltbarer Richtcharakteristik. Es zählt heute noch zu den besten Mikrofonen aller Zeiten und ist in den wenigen Topstudios, die diesen Namen noch verdienen, anzutreffen.

Was für Hitler gilt, gilt auch für den jungen Elvis. Der Rock’n’Roll der Fünfzigerjahre genügt auf Tonträger selten audiophilen Ansprüchen. Das wiederum liegt daran, dass die Toningenieure damals ganze Bands mit nur einem Mikrofon aufnehmen mussten. Schlagzeug ganz hinten, Sänger ganz vorne, Gitarre und Bass irgendwo dazwischen. Der hohe Raumanteil machte den Sound relativ harsch, George Martin wies anlässlich des CD-Release der ersten fünf Beatles-Alben zudem darauf hin, dass die Abhörbedingungen (sprich Lautsprecher) damals ganz anders waren, dementsprechend also auch anders entzerrt wurde.

Mit dem Aufkommen der Mehrspurtechnik wurde die Sache nicht besser, im Gegenteil: Um eine möglichst grosse Kontrolle über die einzelnen Spuren zu behalten, wurde viel geklebt, gedämpft und mit Teppichen ausgelegt. Der Raumklang wurde gemeuchelt, die Mikrofone möglichst nahe an die Instrumente gerückt und Tonspuren fröhlich hin- und herkopiert. Das führte im besten Fall zu einem Verlust der hohen Frequenzen, im schlechtesten Fall zu Soundbrei (Phil Spectors berüchtigter „Wall of Sound“).

Während sich das U47 als Röhrenmikrofon hervorragend dazu eignete, einem allzu klirrenden Sound etwas die Spitzen zu glätten, verlangten die späten Sechziger nach neuen Klangeigenschaften. 1967 bot Neumann mit dem U87 eine genau solche an. Mit einer leichten Höhenanhebung ab sieben Kilohertz und seinem druckvollen und runden Klang etablierte es sich schnell zum universellen Studiomikrofon. Ob für Gitarre, Klavier, Orchester, Chor oder als Raummikrofon – vor allem aber für die Stimme ist das U87 so etwas wie der Caruso unter den Mikrofonen. An seinem Klang müssen sich alle anderen Mikrofone messen lassen. Die Legende besagt, dass wer sich auf intime Nähe zur markanten Keule einlässt, besser singt. Das stimmt so wahrscheinlich nicht. Tatsache aber ist, dass sich andere Hersteller (die meisten scheinen auf irgendeine Weise von Georg Neumann abzustammen) beim Versuch, die Qualitäten des grossen Vorbilds zu erreichen, bisher die Zähne ausgebissen haben. Natürlich bleibt es jedem Tontechniker frei, im Zweifelsfalle zu einem anderen Mikrofon zu greifen (Michael Jackson singt auf „Thriller“ in ein Shure SM7), in der Regel aber doch eher, nachdem er es mit dem U87 versucht hat. Letztes Jahr feierte Neumann übrigens den 40. Geburtstag seines Erfolgsprodukts und veranstaltete dazu einen Wettbewerb. Zu gewinnen gab es ein, ich korrigiere mich: ein einziges Neumann U87.

Dienstag, 29. Januar 2008

Kickstarting the Heavy Metal Umlaut Trend

"Richard Meltzer, along with Sandy Pearlman and several other students, earned money on the side by acting as booking agents for the big musical acts which came to Stony Brook on a regular basis in the 60s. Following that, the two started writing lyrics and arranging gigs for a musical group they were promoting: Soft White Underbelly, later renamed Blue Öyster Cult. He recommended the umlaut on the "Oyster," thus kickstarting the heavy metal umlaut trend."