Vater des Ambient
Mit „Ambient 1: Music for Airports“ erschien vor dreissig Jahren ein Album, das einen neuen Musikstil begründete. Brian Eno rückte damit quasi die Hintergrundmusik in den Vordergrund.
Es muss irgendwann im Jahr 1977 gewesen sein, als Brian Eno im Flughafen Bonn-Köln auf seinen Anschlussflug wartete. Es fiel ihm dabei gleich mehrerlei auf. Erstens die kunstvolle Architektur, zweitens das angenehme Wetter und drittens die grässliche Musik, die drinnen auf die Wartenden niederrieselte. „Ich habe das nicht verstanden“, erinnert sich der Künstler später. „Da geben sie für diesen wirklich schönen Flughafen so viel Geld aus, doch über die Musik, die ja auch zur Gestaltung eines Raumes beiträgt, machen sie sich keine Gedanken.“ Und falls doch, dann die falschen. „Diese Musik ist doch viel zu fröhlich, so als wolle sie den Fluggästen versichern: Nein, du hast nichts zu befürchten, das Flugzeug wird nicht abstürzen und du wirst nicht sterben. Dabei müsste sie doch eher bedeuten: Ja, vielleicht stirbst du und es spielt keine grosse Rolle.“
An jenem Nachmittag entschied sich Brian Eno, die Welt ein bisschen besser zu machen, indem er über eine mögliche Musik für Flughäfen nachzudenken begann. Wie musste eine solche Musik beschaffen sein? Sie sollte möglichst entweder nur sehr tiefe oder dann sehr hohe Tönen beinhalten, um den für menschliche Stimmen wichtigen mittleren Frequenzbereich nicht zu überlagern. Die Stücke sollten zudem sehr lang sein („Die Leute sind beschäftigt und wollen nicht von einem ständig wechselndem Programm abgelenkt werden.“) und für Ansagen jederzeit problemlos unterbrochen werden können. Bereits in den Sechzigern hatte sich der ehemalige Keyboarder von Roxy Music für Steve Reichs Minimalismus begeistert, ein weiterer wichtiger Einfluss war Eric Satie, der vor 120 Jahren mit seiner „Furniture Music“ Neuland betrat und dessen „Gymnopédies“ heute noch gerne zur Untermalung von Werbespots für Lebensversicherungen benutzt werden. Eno selbst hatte bereits 1973 auf „(No Pussyfooting)“ mit Ambient-Klängen experimentiert, mit „Ambient 1: Music for Airports“ begründete er 1978 einen eigentlichen Musikstil.
„Als Komponist neigt man dazu, mehr in seine Musik hinzupacken, als man es als Zuhörer eigentlich gerne hätte. Als Musiker denke ich: Oh Gott, hier geschieht ja einen Takt lang rein gar nichts, als Zuhörer hingegen bin ich froh über jede Pause zwischen den einzelnen Tönen.“ Eno nutzte diese Erkenntnis während den Aufnahmen für „Music for Airports“. Im ersten und längsten der vier Stücke lässt er zwei einsame Klaviermelodien, die eine akustisch, die andere elektrisch, miteinander korrospondieren. Die stark verlangsamten Tonbandschlaufen nähern sich im Laufe des Stückes an, überlagern sich kurz, um sich dann wieder voneinander zu entfernen. Dies alles geschieht in grandioser Langsamkeit und vermittelt eine unglaubliche Ruhe und Selbstgenügsamkeit. Als Pausenglocken-Intervalle für Problemschulen würde die Melodie jedenfalls Wunder bewirken.
Im zweiten Stück geht es eigentlich im gleichen Stil weiter, ein Engelschor, der auffällig nach Fairlight klingt (es aber nicht sein kann, da der Sampler erst ein Jahr später auf den Markt kam) ersetzt das Klavier. Das Klangbild wird allgemein heller und strahlender; es ist klar, dass Eno hier nicht nur das Warten in der Flugenhafen-Lounge, sondern auch das Fliegen selbst musikalisch thematisiert. Auch hier erzeugt die Langsamkeit, mit der sich die Melodie entwickelt, ein seltsames Gefühl von Zeit- und Schwerelosigkeit. Gut möglich, dass Eno mit seinen langen Pausen zwischen den einzelnen Tönen das musikalische Gedächtnis austrickst, es ist jedenfalls weder eine Richtung noch ein Ende zu erahnen und fast unmöglich, dabei nicht abzuschweifen. Ab einem gewissen Punkt nimmt der Hörer die Musik nicht mehr bewusst wahr, erschrickt hingegen fast, wenn sie zu Ende ist. Im dritten Stück wieder Chorgesang und das Klavier gesellt sich dazu, im vierten spielt ein Synthesizer die Hauptrolle. Der Arp 2600, den Eno im Studio von Krautrock-Legende Conny Plank in Köln aufgenommen hat, während die anderen Stücke in London entstanden sind.
In den Liner Notes zu „Music for Airports“ geht Eno kurz auf die Geschichte des Muzaks ein (der Begriff geht auf die Firma Muzak Inc. zurück, die in den Fünfzigerjahren seichte Instrumentalmusik für die Beschallung von Kaufhäusern produzierte). Er spricht sich zwar dezidiert für „Inviromental Music“ aus, räumt aber ein, dass dieser in der Vergangenheit ein schlechter Ruf anhaftete. Ambient, so wie er ihn versteht, müsse „auf verschiedenen Aufmerksamkeitsstufen funktionieren, ohne dabei eine spezifische besonders zu fordern. Eine solche Musik müsse „as ignorable as interesting“ sein.
Die Schwierigkeiten, die manche Menschen mit Ambient haben, basieren in der Tat zumeist auf dem Missverständnis, man müsse dieser Musik ständig zuhören. Das sollte man in diesem Falle eben nicht. Wogleich dem Scheitern hierbei eine besondere Süsse innewohnt. Als Satie eines seiner Werke uraufführte, verlangte er vom Publikum, es solle während des Konzertes im Raum herumschlendern und versuchen, der Musik nicht bewusst zuzuhören. Doch die Besucher blieben schon nach kurzer Zeit stehen und lauschten gebannt den beruhigenden Klängen.
Genau das kann einem bei „Music for Airports“ auch passieren.
Brian Eno „Ambient 1: Music for Airports“ (EMI).
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