Rote Gourmet Fraktion
Wer kocht eigentlich für Rockstars? Lohnt es sich überhaupt, die drogenverseuchten Strichmännchen mit Kalorien, Vitaminen und unnötigen Ballaststoffen zu versorgen? Alles nur Vorurteile, meint die Rote Gourmet Fraktion.
von Martin Söhnlein
Ein Name ist ein Name ist ein Name, selbst wenn er so gut klingt, dass er es sogar bis in den „Cicero“ schafft: „Wie alle jungen Eliten möchten sich auch die Gewinner der ökosozialen Bildungs-, Kultur-, Gleichstellungs- und Umweltoffensiven von der Masse absetzen“, schreibt dort das Autorenduo Einer/Miersch - und nennt als Beispiel die Rote Gourmet Fraktion, „eine in besseren Kreisen erfolgreiche Catering-Firma.“
Pikanterweiseweise handelt es sich bei diesen Kreisen um just jene, für die sich auch die Leser dieser Zeitung interessieren dürften, um Musiker also, genauer: um Rocker. Die, man glaubt es kaum, essen auch. Wenn auch meistens Risotto. Jedenfalls solange es mit der Karriere nicht vorangeht. Mit dem Erfolg steigen dann allerdings die Ansprüche. Die Liste der kapriziösen Wünsche wohlstandsverwahrloster Unterhaltungskünstler der obersten Liga ist an Umfang und Dekadenz kaum zu überbieten, doch die Regionalisten schliessen langsam auf: „Ein Kilogramm Honig“ forderten zum Beispiel die damals noch eher unbekannten Sens Unik von den Organisatoren eines kleinen, budgetgebeutelten Aargauer Openairs.
Zwischen ganz unten und ganz oben klafft die Lücke, welche die beiden Hamburger Punkköche Jörg Raufeisen und Ole Plogstetd seit bald 15 Jahren zu stopfen versuchen. Das gemeine Tourleben ist ja entgegen anderer Behauptungen kein schönes, sondern im Gegenteil: eher trist. Wer dabei dann auch noch sein Abendessen in bester DDR-Kantinenmanier mit Kellen aus Warmhaltevorrichtungen kredenzt bekommt, ertappt sich schon mal bei dem Gedanken, er könne ja vielleicht zur Abwechslung mal etwas anderes tun: in die Politik gehen, Selbstmord begehen oder dann halt arbeiten.
Die Rote Gourmet Fraktion verspricht in solchen Fällen Abhilfe. Mit Gerichten wie „Pumpgun mit Curryschuss“ (Kürbis-Frühlingsrolle mit scharfer Currysauce), „Junkfish“ (Steinbeisser, in dem eine Spritze mit Gewürzinjektion steckt) oder „Ratte in Rollsplit“ (Poulardenbrust in Mohn paniert) schaffte es der Cateringservice wiederholt, ebenso schlichte wie dunkle Gemüter wie jene von Rammstein und Rosenstolz zu erhellen oder den bereits erleuchteten (Die Ärzte, Die Fantastischen Vier, Die Toten Hosen, Tricky) zumindest etwas Schenkelklopferei zu entlocken. Dazu gesellt sich eine hui-hui-lustige Dekoration („Skelette aus Kunststoff“).
Bei soviel Spass und revolutionärem Witz haben sich im Laufe der Jahre naturgemäss allerlei Anekdoten („Campino will immer einen Teller Nudeln“) zugetragen, die in einem Buch mit dem sprechenden Titel „Rote Gourmet Fraktion – Kochen für Rockstars“ angereichert mit Rezepten versammelt sind. Wichtige Fragen wie „Weshalb sind Rockstars so bescheuert?“ oder “Weshalb man beim Kochen Dead Kennedys, The Vibrators und Beatsteaks, nicht aber U2 und Genesis hören soll“ werden dort erörtert, was letztlich nur den Verdacht stützt, die beiden umtriebigen Thirty-Somethings seien mehr Rock’n’Roll als ihr zwar illustres, aber doch irgendwie gähniges Klientel zusammen.
In allererster Linie ist die Rote Gourmet Fraktion natürlich eine grandiose Geschäftsidee: Längst haben Raufeisen und Plogstedt ihre Mampfzone ausgeweitet, bieten ihrerseits Kochkurse („Kochen wie für Rockstar“) und Fanartikel (RAF-Motiv mit einem Messer anstelle der Kalaschnikow ) an, treten im Fernsehen auf und backen mit diversen Veranstaltungen („Kochen gegen Aids“, „Kochen gegen Rechts“) am grossen Benefizkuchen mit.
„Wer aufgrund des Namens glaubt, uns ginge es darum, Terrorismus zu verherrlichen, irrt!“, sehen sich die beiden Chefköche auf ihrer Homepage mittlerweile zu schreiben veranlasst. Die Marke ist inzwischen beim Patentamt in München angemeldet, „wir haben jetzt den Bundesadler und das RGF-Logo auf einer Urkunde“, verrät Jörg, der auch gleich noch mit ein paar Vorurteilen aufräumen will: „Eine Band wie die Hosen, die seit 20 Jahren unterwegs ist, feiert natürlich auch mal ihre Feste. Ein Musiker auf Tour muss aber auch ein bisschen gesund leben, mit hin und wieder leichter Kost, ein bisschen Sport und ein paar Vitaminen.“
So sieht die Sache also aus. Etwas von allem: ein bisschen Horrorshow, Sentimentalitäten aus der Zeit, als der Terror noch der eigene war, hin und wieder leichte Kost und auf Wunsch auch Vegetarisches.
Ole Plogstedt, Jörg Raufeisen, Kochen für Rockstars, Kiepenheuer & Witsch, 17.70 Fr.
Der Text ist im "Loop" erschienen.
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